Folgender Artikel ist eine Replik auf den Artikel „Heißer Herbst blieb aus“ von Martin Behrsing und anderen.
In allen linken Medien wird momentan die Frage diskutiert: „Was ist los mit den Sozialen Bewegungen?“ Eine berechtigte Frage nach einem eher „kalten“, denn „heißen“ Herbst.
Allerdings ist es mit der hauptsächlichen Beschreibung der Schwächen einer antikapitalistischen sozialen Protest- und Widerstandsbewegung nicht getan. Maßgeblich sind auch die Schlussfolgerungen aus einer Niederlage, die die Beteiligten daraus ziehen und wie sie sich für die nächsten Kämpfe politisch und organisatorisch aufstellen.
Was unseres Erachtens nicht in ausreichendem Maße thematisiert wird, sind historische Ursachen dieser Schwäche, die bereits in den 50iger Jahren in der BRD angelegt waren und sich auch mit dem 68iger Aufschwung der Protestkultur nicht wesentlich verbessert haben. Eine Ursachenforschung muss sich sowohl auf inhaltliche als auch organisatorische Schwächen einer antikapitalistischen sozialen Bewegung stützen. Diese Gründe einer besonderen Schwäche der bundesdeutschen Bewegung, dabei insbesondere der Erwerbslosen und der prekär Beschäftigten, kann nicht mit einer anderen Protestkultur oder Mentalität im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern z.B. Frankreich, Griechenland oder Portugal erklärt werden.
Insbesondere die dogmatische „Traditionslinke“, aber auch weit darüber hinaus, hatten immer einen durchgängig positiven Bezug zum Staat. Dies wird immer wieder, in der noch aktuell vertretenen Parole von der „Verteidigung des Sozialstaates“ gegen die neoliberale Wende deutlich.
In der Auseinandersetzung um die Hartz IV Novelle der Bundesregierung (Neubemessung der Regelleistungen von 359 auf 364 Euro) wurde mit einem erneuten Gang vor das Bundesverfassungsgericht, einem politischen Organ der kapitalistischen Herrschaftssicherung, gedroht. Eine völlig desorientierende, falsche Hoffnungen weckende Stoßrichtung. Der Staat als Organisator der kapitalistischen Verwertungsbedingungen ist die falscheste Adresse, wenn es um Widerstand geht. Der positive Bezug auf den „Sozialstaat“ ist zweischneidig. Der real existierende „Sozialstaat“ ist vor allem ein Mittel der Herrschaftssicherung und der Herstellung optimaler Reproduktionsbedingungen für disziplinierte und billige Arbeitskräfte.
Dieser de facto falsche Staatsbezug ist einer der wesentlichen Gründe für die Schwäche der bundesdeutschen sozialen Bewegungen.
Eine weitere, daraus unmittelbar abgeleitete Schwäche, ist der Rückgriff auf staatliche Mittel zur Sicherstellung von „Bewegungsstrukturen“.
Harald Thome (Tacheles) beklagte unlängst in seinem Newsletter die Anbindung der Beratungsförderung für Erwerbslose in NRW an bestehende Beschäftigungsträger, die auch „Ein-Euro-Jobs“ und andere Maßnahmen im Gepäck haben.
In Bremen existiert diese Art der Förderung schon lange. Seit 2001 wurde die Förderung der Beratungsstellen aus der damaligen Selbsthilfeförderung in Programme der „Arbeitsmarktförderung“ übernommen. Mit der Stoßrichtung, die damals vier betroffenen Beratungseinrichtungen stärker in die staatlich finanzierte „Betreuungsindustrie“ für Erwerbslose einzubeziehen. Damit war immer klar verbunden, diejenigen Träger aus der Förderung auszuschließen, die sich gelegentlich noch getraut haben, öffentlich gegen die staatlichen Repressionen und Kürzungen im Sozialbereich zu protestieren. So ist in Bremen einer der geförderten Träger Mitglied im örtlichen Verband der Beschäftigungsträger, dessen Hauptgeschäft in der Organisierung von „Ein-Euro-Job“ Maßnahmen (hier perfiderweise „In-Jobs“ genannt) besteht. Eine zweite sogenannte „unabhängige Beratungseinrichtung“ ist seit 2007 selbst schon Bestandteil eines großen Beschäftigungsträgers. In Bremerhaven ist die Erwerbslosenberatung vollständig bei Beschäftigungsträgern angesiedelt.
Mit dieser Förderung kann sich eine Beratungsstelle, ist sie erst einmal mit ihren Mieten und Personal von der „Staatsknete“ abhängig, kaum noch dem süßen Gift der Einflußnahme entziehen. Damit hat sie vielleicht ökonomische überlebt; politisch ist sie dem Untergang geweiht. Als Teil einer sozialen Bewegung kann sie nicht mehr agieren.
Ein Blick in die kurze Entwicklungsgeschichte der Erwerbslosenzentren in der Bundesrepublik bestätigt diese Einschätzung. Was ist übrig geblieben von den selbständig agierenden Beratungszentren der 80iger Jahre.? Überwiegend angepasste Einrichtungen unter den Fittichen von Wohlfahrtsverbänden, die sich allenfalls mit Einzelfallberatung und Coaching durchschlagen. Politische Substanz und Handlungsfähigkeit gibt es nur noch selten.
Eine Schlussfolgerung ist der Aufbau und die bundesweite Vernetzung von staatsunabhängigen Erwerbslosenprojekten und Beratungsstellen. Ansätze sind in den Aktivitäten um die „Krach Schlagen“ Demo in Oldenburg erkennbar.
Ein weiterer ganz wesentlicher Schwächungsgrund ist das Verhältnis zu den jetzt existierenden Gewerkschaften in Obhut des DGB. Zwar gibt es zahlreiche nette und auch linke GewerkschaftsaktivistInnen, die sich an sozialen Protesten beteiligen und vehement auch in den Gewerkschaftsgliederungen für ordentliche Positionen streiten.
Allerdings sind sie kaum in der Lage relevanten Einfluss auf die tatsächliche Politik des DGB und das politische Desinteresse der allermeisten Gewerkschaftsmitglieder auszuüben.
Das reale Wirken der DGB Gewerkschaften wird von der rechtssozialdemokratischen Mehrheitsströmung dominiert.. Und diese Mehrheitsströmung schreitet seit an seit mit Kapital und Staat, für den Standort Deutschland und dessen optimale Konkurrenzbedingungen auf den Weltmärkten.
Mit der Öffnung von Tarifverträgen, der offensiven Förderung von Flexibilisierungsmaßnahmen in den Betrieben, der Absegnung von Billigzeitarbeitstarifen, der Beteiligung an staatlichen Kürzungen (Mitarbeit in der Hartz Kommission, Durchwinken der Rente mit 67 im Jahre 2007 oder dem neuerlichen gemeinsamen Vorstoß mit dem Bundesverband der Arbeitgeberverbände zur Einschränkung des Streikrechts) sind Gewerkschaftsspitzen Bestandteil des Herrschaftsapparates und des Staates zur Optimierung des Ausbeutungssystems geworden. Nachdem der Gewerkschaftsbeirat von verdi, nach internen anderslautenden Anträgen, sich für die Fortsetzung des gemeinsames Gesetzgebungsverfahren zur Einschränkung des Streikrechts mit dem Bundesverband der Arbeitgeberverbände ausgesprochen hat, begründete Bzirske dies mit der Notwendigkeit der Erhaltung des „sozialen Friedens“.
„Sozialer Frieden“ steht für uns als Synonym für ungestörten Ausbeutungsbetrieb!
Unbestreitbar stehen die Lohnabhängigen aus Deutschland im europäischen Vergleich am schlechtesten da. Ob Nettolohnentwicklung, Anstieg des Niedriglohnsektors oder dem Anteil am Volkseinkommen, dank steter Mithilfe der Gewerkschaftsführungen geht das bundesdeutsche Kapital seit 15 Jahren als erstes durchs Ziel. Der DGB und die Einzelgewerkschaften haben in den Verteilungskämpfen um Lohn und soziale Sicherungsstandards im Interesse des Standorts in der Konkurrenz der neoliberalen Globalisierung hervorragend funktioniert.
Die traditionelle Linke und große Teile der sozialen Bewegungen bekennt sich zum Prinzip der „Einheitsgewerkschaft„ und schließen dabei weitgehend die eigenständige Organisierung auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene aus. Damit ordnen sie sich faktisch der vorherrschenden Linie in den Gewerkschaften unter. Das ritualisierte Bekenntnis zur Einheit (verbunden mit der Idealisierung gewerkschaftlicher Kämpfe in vergangenen Zeiten) verhindert weitgehende Kritik am Handeln der Gewerkschaftsapparate und führt zum fortgesetzten „einheitlichen„ Marsch in die nächste Niederlage. Damit wird auf eigenständige Kampfentwicklung verzichtet und sich dem tarif- und soziapolitischen Monopol der DGB Gewerkschaften untergeordnet.
Auch das zentrale und einige örtliche Bündnisse „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ beziehen sich positiv auf die vermeintliche „Stärke“ des DGB. z.B. bei der Zusammensetzung der RednerInnenliste bei der Demonstration und Kundgebung in Stuttgart im Juni 2010.
Die Stärke der Protestbewegungen in einigen europäischen Ländern liegt aber gerade darin, dass sie sich auf, wenn auch zum Teil kleine, Gewerkschaften stützen kann, die sich nicht den Kapitalverwertungsbedingen und dem Staat unterordnen.
Daraus erschließt sich die Notwendigkeit, sich erstens nicht kritiklos und anbiedernd auf den DGB als Organisation des Widerstandes zu orientieren und zweitens daran zu gehen, sich gewerkschaftliche Strukturen zu schaffen, die nicht der Standortlogik verpflichtet sind.
Ein vierter Schwachpunkt der sozialen Kämpfe könnten Einfluss Rolle der Partei „Die Linke“ sein.. Große Teile der Partei sind linkssozialdemokratisch orientiert. Dies belegen die Ergebnisse der bisherigen Regierungsbeteiligungen in Schwerin, Berlin und Brandenburg. Auch im Westen scheinen sich verstärkt sozialdemokratische Position durch zusetzen. Oder wie ist die reflexartige Zustimmung von CO-Parteichef Klaus Ernst zur DGB /BDA Initiative zur Einschränkung des Streikrechts, als auch die immer wieder wiederholte Position, die neuen Hartz IV Sätze mit dem Bundesverfassungsgericht kippen zu wollen, zu interpretieren?
Die Linke orientiert „bewegte“ Menschen darauf, den Widerstand auf die parlamentarische Ebene zu bringen. Die Erfolgsausichten sind aber nicht sehr groß. Viele Aktivitäten dienen vor allem der Profilierung der Partei als parlamentarische Stellvertreterorganisation und zur Wahlkampfpositionierung.
Die Linke hat mit ihrer Konstituierung im Westen, etliche bisher autonom agierende Teile der sozialen Bewegung eingebunden .Etliche Aktivisten bringen ihr Potential in den Parteiaufbau und die parlamentarische Arbeitein . Dies schwächt Teile der sozialen Bewegungen.
Es müssen sich wieder mehr Menschen auf die außerparlamentarische Politik mit antikapitalistischer Stoßrichtung konzentrieren.
Martin Behrsing und andere ziehen folgende Schlussfolgerungen: “ Es kommt somit drauf an, in wie weit es den sozialen Bewegungen gelingen kann, exponierte Vertreter der bürgerlichen Mitte für das Anliegen der Deklassierten zu gewinnen, um die soziale Frage als das solidarisch verbindende Element weiter Teile unserer Gesellschaft in den Vordergrund zu rücken, ohne sich von der bürgerlichen Mitte vereinnahmen zu lassen“.
Die Erfahrungen des Herbstes zeigen aber: Bürgerliche Kreise sind sehr wohl in der Lage sich um ihre demokratischen und sozialen Anliegen zu bekümmern. Viel Erfolg damit. Allerdings besteht die Schwäche der sozialen Bewegungen, insbesondere der Erwerbslosen und der prekär Beschäftigten nicht im Mangel an wohlwollenden Paten, dozierenden Gelehrten mit der Intention, Armut und Ausgrenzung als Standortnachteil zu interpretieren, und die Herrschenden in deren vermeintlichem Interesse zur Änderung zu bewegen, sondern vor allem an eigener organisatorischer Stärke, Verankerung und Mobilisierungsfähigkeit. Es fehlt an Strukturen und örtlichen Netzen, die sich nicht auf Parlament, DGB und Wohlfahrtsverbände orientieren.
Stellvertretende Paten gibt es bereits genug, die in den Medien Fehler in der Regelsatzbemessung der CDU Ministerien erklären können oder spendable Nächstenliebe als Kaschierung von Einkommensarmut einfordern.
Wenn bundesweit nur zwei FDP Büros, angesichts der sozialdarwinistischen Äußerungen von Westerwelle, Ziel von Besetzungen wurden, ist dies Ausdruck von Schwäche, die es zu beheben gilt.
Dabei sollte sich jedoch von der Illusion einer politisch superbreiten,., alle politischen Spektren diesseits von CDU und FDP umfassenden Erwerbslosen und Sozialbewegung befreit werden. Hartz IV, Niedriglohn und Zeitarbeit sind ein zentrales politisches Projekt von Staat und Kapital zur Profitmaximierung und Sicherung des Standorts. Aber auch der Normalbetrieb kapitalistischer Ausbeutung ist ein Skandal an sich. Allein die Orientierung auf die Abschaffung des Normalbetriebs, des Lohnsystems an sich, schafft die Voraussetzungen einer dauerhaft politisch aktionsfähigen „sozialen Bewegung“. Davor liegen noch viele Hürden, etwa die fehlende Bereitschaft großer Teile der radikalen Linken, „soziale Kämpfe“ als zentrales Auseinandersetzungsfeld mit dem Lohnsystem zu begreifen oder aber das fetischartige Festhalten an einer „Einheitsgewerkschaft“
Leider ist nicht zu erwarten, in einem „heißen Herbst 2011“ alles besser machen zu können, vielmehr muss von einer längeren Aufbau- und Neuorientierungsphase ausgegangen werden, die nicht gleich unmittelbare Ergebnisse mit sich bringen wird.
Bremer Erwerbslosenverband Koordinierungskreis 17.1.2011