Debatte in der Bürgerschaft, beantragt von der Bürgerschaftsfraktion der Linken.
Mit Erstaunen haben wir die Berichterstattung zur Rückgabe von Geldern , aus den Eingliederungsmitteln der Bremischen Jobcenter an die Bundeskasse gelesen. Sogar eine aktuelle Stunde in der Bürgerschaft zu diesem Thema wurde angesetzt. Worum geht es eigentlich?
Einige Hinweise. Bei den nicht verbrauchten Mitteln der Jobcenter handelt es sich überwiegend um Gelder für sogenannte „Ein-Euro-Jobs“ und mehrwöchige bis 6 monatige Maßnahmen, zum Teil mit erheblichem Praktikaanteilen, Bewerbungstraining und disziplinierendem Absitzen von Zeit. Letzteres sei an einem Beispiel verdeutlicht. Ein 28-jähriger Mann wurde in einer Maßnahme genötigt, mit fünf anderen TeilnehmerInnen über einen Zeitraum von zwei Wochen in einem Unterrichtsraum täglich 7 Stunden kopierte Ausmalbilder mit Buntstiften auszumalen. Exakt die gleichen Bilder, die auch seine fünfjährige Tochter aus dem Kindergarten stolz mitbrachte. Ist das Qualifizierung ? Nein, das ist Disziplinierung.
Bei zahlreichen Maßnahmeträgern ist es üblich, dass der größere Teil der Maßnahme in betrieblichen Praktika verbracht wird. Hier soll „Arbeiten“ gelernt werden. Was passiert tatsächlich ? Einige Baumärkte, Umzugsunternehmen oder auch der größte Müllentsorger Bremens sind darauf ausgerichtet, bei diesen Maßnahmeträgern systematisch „Praktikanten“ anzuwerben. Kaum jemand hat die Chance in diesem Unternehmen einen festen Job zu bekommen. Denn die Praktikanten drücken sich das Staffelholz in die Hand, der eine geht, der andere kommt. Die Unternehmen bekommen diese Arbeitskraft umsonst, sie müssen keinen einzigen müden Euro drauflegen. Den Erlös für Möbeltragen, Regale auffüllen usw. streichen die Unternehmen ein. Und außerdem können sie damit noch bezahltes Personal einsparen, also Erwerbslosigkeit herbeiführen, denn so oder so, die Regale müssen voll, der Müll muss sortiert werden. Und wenn Unternehmen für Praktikanten nix bezahlen müssen, wozu dann noch Leute einstellen und nach Tarif bezahlen ?
Mit den allseits bekannten „Ein-Euro-Jobs“, ist es nicht anders. Die meisten Maßnahmeträger sind darauf spezialisiert mit dieser Umsonstarbeitskraft gewerbliche Tätigkeiten abzuwickeln. In privaten Gärten Heckenschneiden und Bäume fällen, Holzbauten herstellen, Putzlappen zuschneiden, (der größte Teil der Bremer Altkleidersammelbehälter wird von „Ein-Euro-JobberInnen“ sortiert) alles gegen Rechnung. Dies ist die übliche Praxis.
Gemeinsam ist allen diesen Eingliederungsmaßnahmen, dass TeilnehmerInnen, die Aufmucken, auf diesen Wahnsinn keine Lust haben oder sich schlicht diesem Demütigungsapparat entziehen wollen mit Sanktionen bestraft werden. Mehr als einen Million gab es davon im letzten Jahr.
Hat jemand einmal eine Fragestunde in der Bürgerschaft beantragt, um zu ermitteln wie viele junge Menschen unter 25 Jahren nach der zweiten Sanktion, wenn dann auch die Miete für drei Monate gestrichen wird, obdachlos geworden sind ?
Kurzum, Hartz IV und darin eingebettet, die oben erläuterten Maßnahmen, hatten einen politischen Sinn. Ex Bundeskanzler Schröder hat diesen Sinn im Januar 2005 auf dem Gipfel der Staatsmänner und Konzernlenker in Davos erklärt. „ Wir haben
den besten Niedriglohnsektor aufgebaut, den es in Europa gibt…“ Bei Strafe der Sanktion, auch bis auf Null, muss auch für 4,50 Euro pro Stunde gearbeitet werden. Schröder hatte Recht und die Unternehmen haben gewonnen, die BRD ist Europameister im Niedriglohnsektor.
Aber ein bloßes Gesetz wie Hartz IV / SGB II bleibt ein leeres Versprechen, so es nicht mit Leben gefüllt wird. Was ist schon ein Folterer ohne glühende Kohle, Wasserbecken und Streckbank – ein Nichts, der keins seiner Opfer mit einem grimmigen Blick erschrecken kann.
So auch Hartz IV. Allein mit Auflagen, von 5 oder 10 monatlich beim Jobcenter abzuliefernden Bewerbungen oder mit der bloßen Androhung von Sanktionen geht wenig. Wo ca. 5 Millionen Jobs nicht vorhanden sind um damit alle arbeitsfähigen Erwerbslosen zu beglücken, geht symbolischer Aufbau von Druck ins Leere. Mittels heutiger Technik, ist eine Bewerbung mit wenigen Mausklicks zu machen. Denn wer geht schon freiwillig für 6 Euro die Stunde arbeiten, um sich dann Donnerstags nachmittags den Rest zum Überleben beim Jobcenter abzuholen ?
Somit brauchte der Staat ein Druckmittel, das tatsächliche nachhaltige Wirkung erzielt. Gefunden wurden Maßnahmen. Sie ermöglichen Vieles in Einem: Einüben in Arbeiten für nichts (oder ist 1,20 Euro pro Stunde ein menschenwürdiger Lohn ? oder als Praktikant) Unterwerfung in einen rechtlosen Zustand (kein Kündigungsschutz, keine Lohnfortzahlung, keine Arbeitsrechtstandards, kein Betriebsrat) Gruppendynamische Prozesse zum Anbeten des Götzen Arbeit, Einüben von sinnentleerten Tätigkeiten, Erfahrungen mit Sanktionen sammeln (wer nicht gehorcht (arbeitet) bekommt nichts zu Essen.
Genau sowenig wie ein Kind das Fahren eines Fahrrades aus einem Buch erlernt, genauso wenig wie ein Mensch die Schmerzen glühender Kohle im Video empfinden kann, so wenig sind Paragraphen in einem Gesetzbuch Erfahrungswissen, das Grundeinstellungen prägt.
In Ermangelung von realen Lohnarbeitsjobs sind die Maßnahmen ein Übungsfeld in dem große Teile der Lohnabhängigen, insbesondere jüngere, auf Niedriglohn getrimmt werden.
Maßnahmen sind die moderne Schule der Nation. Sie sind die Folterwerkzeuge des modernen Staates zur Beförderung des Konkurrenzvorteils des Standorts Deutschland.
Und die Fraktion der Linken in der Bürgerschaft beklagt sich, dass der Staat, genauer gesagt seine Unterabteilung Jobcenter, nicht alle geplanten Foltermittel zur Erziehung zu Demut und Niedriglohn zum Einsatz gebracht hat.
Hartz IV muss weg steht auf den Plakaten der Linkspartei, aber deren massenhafte Umsetzung fordert sie.
*Die konkrete Forderung der Bürgerschaftsfraktion ist: Mehr Geld für Folterinstrumente.*