Viele Menschen sind irritiert, wenn sie im Jobcenter das Gefühl haben wie der letzte Dreck behandelt zu werden. Vielen bereitet der nächste Termin beim Fallmanager schlaflose Nächte. Etliche gehen dort gar nicht mehr hin, haben die Wohnung verloren, schlafen bei Bekannten, kehren zur Familie zurück und leben vom Flaschensammeln und kleinen Schwarzarbeitsjobs.
Warum?
Die Hartz IV Sätze einschließlich der von den Ämtern getragenen Mieten und Heizkosten reichen nicht. Die Verschuldung nimmt zu, oftmals wird der Strom abgestellt. Eine neue Wohnung zu finden, ist fast unmöglich geworden.
Weshalb ?
Die Jobcenter schicken uns in „Ein-Euro-Jobs“ und andere Maßnahmen. Dort ist entweder Schuften oder Langeweile angesagt. Qualifizierung und die oftmals versprochenen Anschlussbeschäftigung findet fast nie statt. Wer sich quer legt, wird sanktioniert.
Wieso ?
Wir, Aktive und BeraterInnen des Bremer Erwerbslosenverbandes wollen aus unseren Erfahrungen und Erkenntnissen einige Ursachen aufzeigen und Antworten geben.
Wieso gibt es eigentlich Hartz IV ?
Die „Hartz-Gesetze“ sind Teil der berüchtigten „Agenda 2010“. Diese Gesetze sollten das Ziel verfolgen, den Standort Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen und Erwerbslose in niedrig bezahlte Arbeit zu bringen. Hartz IV ist jedoch nichts anderes als die frühere und heutige Sozialhilfe, mit dem einzigen Unterschied, dass zahlreiche frühere einmalige Beihilfen in den Regelsatz, als Pauschale, eingerechnet wurden. Gleichzeitig wurde die ehemalige Arbeitslosenhilfe abgeschafft. Ca. 1,5 Millionen Menschen verloren hierdurch Einkommen. Der Staat konnte erheblich sparen.
Die Höhe der Zahlbeträge im Hartz IV System liegt bei 40 bis 45 Prozent des Durchschnittseinkommens (Alleinstehende ca. 740 Euro monatlich) und damit weit unter der offiziellen Armutsgrenze von 940 Euro für eine Einzelperson. Grundgedanke ist: Je niedriger die Lohnersatzleistungen, desto größer wird der Druck auf die Löhne.
Kern der Hartz IV Gesetzgebung ist jedoch die Abschaffung der früheren Zumutbarkeitskriterien für die Annahme von Arbeit. In § 10 des SGB II ist definiert, dass jedem Erwerbsfähigen nahezu jegliche Arbeit zuzumuten ist. Damit ist jeglicher Berufsschutz entfallen, d.h. auch ein Universitätsabschluss schützt nicht vor einem Job als Packer im Hafen.
Außerdem ist die Lohnhöhe kein Grund einen Job abzulehnen. Wer nicht für 6 Euro Brutto in der Stunde Jobben gehen will, wird mit einer Sanktion bestraft. Bei mehreren Sanktionen ist letztlich auch die Wohnung weg, weil auch die Kosten der Unterkunft gestrichen werden können.
In der Praxis bedeutet dies: Wer vom Jobcenter zu einem Vorstellungsgespräch geschickt wird, kann den dort angebotenen Job nicht mit der Begründung des zu geringen Lohns ablehnen. Unmittelbare Folge: Kürzung der Regelleistung um 30 Prozent für drei Monate.
Dieser gesetzlich geschaffene Zwang schlägt sich in den Statistiken nieder. Von 2004 bis 2012 stieg der Anteil der NiedriglöhnerInnen in Deutschland von 15 auf 24 Prozent aller Arbeitsverhältnisse, gleichzeitig sank das Einkommen der Menschen im Niedriglohnbereich um 17 Prozent ab.
Nicht allein Hartz IV ist dafür verantwortlich, wohl aber ein wesentlicher Eckstein, ein weiterer ist z.B. der fehlende gesetzliche Mindestlohn in Deutschland. Während hierzulande mehr als 2 Millionen Menschen einen Bruttostundenlohn von weniger als 6 Euro haben, liegen die gesetzlichen Mindestlöhne in Frankreich, Irland, Großbritannien, Luxemburg und anderen Ländern zwischen 9 und 10 Euro.
Dies war politisch gewollt: Ex Bundeskanzler Schröder hat diesen Sinn von Hartz IV im Januar 2005 auf dem Gipfel der Staatsmänner und Konzernlenker in Davos erklärt. „ Wir haben den besten Niedriglohnsektor aufgebaut, den es in Europa gibt…“ Bei Strafe der Sanktion, auch bis auf Null, muss auch für 4,50 Euro pro Stunde gearbeitet werden. Schröder hatte Recht und die Unternehmen haben gewonnen, die BRD ist Europameister im Niedriglohnsektor.
“ Hartz V bis VIII werden demnächst folgen. Es ist Klassenkampf und es ist gut so, dass der Gegner auf der anderen Seite kaum noch wahrzunehmen ist.“
So kommentierte der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Rogowski, am 15.12.2004 auf Phönix die Hartz IV Gesetzgebung.
Maßnahmen und „Ein-Euro-Jobs“ ! Welchen Sinn haben sie ?
In den Anfangsjahren von Hartz IV gab es immer wieder, zumeist ältere KollegenInnen, die mit einer Ausbildung und nach etlichen Berufsjahren mit durchschnittlichem Einkommen (ca. 15 – 20 Euro Brutto pro Stunde) völlig entsetzt waren, dass die Jobcenter sie in Leiharbeitsjobs von damals 7,20 Euro Brutto vermitteln wollte. Arbeit soll sich lohnen, so hören wir es ständig. Und jeder von uns kann ja feststellen: In Deutschland gibt es viel Reichtum, Luxusautos und Villen, gigantische Gewinne der DAX Konzerne auf der einen und Minilöhne, von denen Mensch nicht existieren kann, auf der anderen Seite.
Also ist es doch geradezu unvernünftig sich im Wechselschichtbetrieb auch die Nächte für 8,19 Euro um die Ohren zu schlagen, sich dabei auch noch die Gesundheit zu ruinieren, um dann mit dem Geld nicht auszukommen und den Rest für die Existenz der Familie beim Jobcenter zu erbetteln.
Um Menschen zu veranlassen, solche Jobs zu machen, bedarf es zweierleih: Erstens ständigem Sanktionsdruck und zweitens die „Umerziehung durch Gewöhnung“. Um solche beschissenen Arbeitsverhältnisse letztlich gut zu finden oder zumindest alternativlos zu akzeptieren wurden „Umerziehungsmaßnahmen“ eingeführt. Denn wenn der erwerbslose Mensch doch mal in der Fabrik gebraucht wird, muss er schon vorher darauf trainiert sein, geringen Lohn toll zu finden und am besten ja nicht an Gewerkschaft, Betriebsrat oder Arbeitsrechte denken oder gar einzufordern. Kommt der neue Lohnarbeiter gar mit Lohnsprüchen oder sonstiges Flausen durchs Werkstor, könnte es im Betrieb Probleme geben.
In den Trainingsmaßnahmen, Bewerbungstrainings, Praktika, Probearbeiten, „Ein-Euro-Jobs“ und wie so alle je nach Konjunktur heißen, findet dieses Training statt: Arbeit ohne Lohn, Keine Lohnfortzahlung bei Krankheit und Urlaub. Jederzeit durch Abberufung „kündbar“, mal sinnentleerte Langeweile gepaart mit stumpfsinnigem Unsinn, mal Stress und unbezahlte Überstunden. Alles Voraussetzungen um in der Fabrik, in der Lagerhalle prima zu funktionieren.
Der Staat finanziert diese Maßnahmen, beauftragt damit Unternehmen, meist Beschäftigungs- oder Qualifizierungsträger genannt, diese durchzuführen. Der Staat macht diesen Job im Interesse alle Unternehmen. Dies nennt sich dann „Arbeitsmarktpolitik“.
Die uns immer vorgehaltenen Vorteile dieser Maßnahmen sind alle Schall und Rauch. Weder gibt es aus Maßnahmen heraus höhere Vermittlungschancen in normale Jobs, noch findet dort eine reale Qualifizierung im Sinne von Berufsabschlüssen oder technischen Kenntnissen statt. Als dies ist durch Untersuchungen belegt. Der Sinn dieser Maßnahmen, die ja auch einiges Geld kosten erschließt sich einzig aus den Erziehungszielen: Niedriglohn und Unterwürfigkeit.
Warum sind die Mitarbeiter der Jobcenter so ätzend, misstrauisch und behandeln uns wie potentielle Betrügende ?
Wie bereits oben beschrieben, tragen die Hartz Gesetze dazu bei, uns in Armut zu halten und uns mit Umerziehung und Sanktionsdruck in beschissenen Niedriglohnjobs zu drücken. Und wer eine Sanktion bekommt, wem durch Nichtzahlung des Jobcenter der Strom abgestellt wurde, wer in seiner schimmligen Wohnung bleiben muss, weil das Jobcenter die neue teurere Wohnung nicht akzeptiert, dem wird Gewalt angetan. Diese Gewalt mag sich von Prügeln, oder Einsperren unterscheiden, es bleibt jedoch Gewalt, weil Menschen damit Lebensgrundlagen entzogen oder beschnitten werden, die eigentlich in diesem Land auf Grund der vorhandenen Fabriken, Wohnungen und Lebensmittel für jede/n möglich und zugänglich wären.
Wenn, wie unlängst in Südafrika, die Polizei 52 streikende Arbeiter erschossen hat, die für höhere Löhne kämpften, wenn in Kolumbien Gewerkschafter in bestreikten Betrieben verschwinden, wenn wie vor wenigen Jahren die Polizei in der Türkei besetzte Betriebe räumt, ist sofort sichtbar. Hier handelt der Staat im Interesse der Unternehmer, da er Gewalt gegen die ArbeiterInnen und ihre Organisationen und Streiks anwendet und damit den Unternehmen bei der Durchsetzung der Ziele unterstützt.
Diesen Job, der Durchsetzung der Interessen der Unternehmen in Deutschland werden unter anderem von den Jobcentern durchgeführt. Nur stellen sie sich dabei schlauer an. Zum einen handeln sie präventiv, das heißt der Staat handelt schon lange bevor es Konflikte gibt und der Staat schafft es obendrein diese Gewalt gegen Erwerbslose als gute Tat zu verkaufen. Denn angeblich will der Staat ja nur das Beste, nämlich Qualifizierung durchführen und Menschen zu Jobs verhelfen.
Weil aber Gewalt gegen Erwerbslose hierzulande hauptsächlich in Form von Sanktionen stattfindet, bleibt es dennoch Gewalt. 2012 gab es mehr als eine Million Sanktionen. Nicht umsonst sind die Jobcenter die einzigen staatlichen Einrichtungen, die sich von Sicherheitsleuten bewachen lassen müssen. Dies ist notwendig um die Abschreckung zu erhöhen und eventuell aufmüpfige Menschen sofort rausschmeißen und Hausverbote durchsetzen zu können.
Wenn also JobcentermitarbeiterInnen Sanktionen verhängen, Menschen in Maßnahmen und „Ein-Euro-Jobs“ zwingen, dann machen sie nur ihren Job. Machen sie diesen Job nicht richtig, im Sinne der Vorgaben von Oben, verhängen sie keine Sanktionen, „vergessen“ sie die Kürzungen, laufen sie Gefahr selbst gemaßregelt oder abgemahnt zu werden und letztlich ihren Job zu verlieren. Beispiele dafür gibt es auch in Bremen.
Menschenwürde im Jobcenter ?
Wer sich also hinstellt und im Hinblick auf das Grundgesetz die Einhaltung der Menschenwürde von einem Staatsorgan wie dem Jobcenter fordert, verkennt die Wirklichkeit total und hat die Rolle und Aufgabe der Jobcenter nicht verstanden. Im Jobcenter geht es nicht um das Wohlergehen von Frau Schmidt und ihren Kindern, sondern ausschließlich um die Bereitstellung der Arbeitskraft unter der BG Nummer: 21402BG0012345 (Schmidt) für den Arbeitsmarkt und die dort die billigst mögliche Ware Arbeitskraft nachfragenden Unternehmen.
Menschenwürde und Wohlfahrt vom Jobcenter einfordern ist genau so illusorische wie die Einforderung von Menschenrechten für Sklaven unter Beibehaltung der Sklaverei.
Wehre Dich redlich !
Auch wenn der/die Einzelne durch noch so geschicktes Handeln, die Hartz IV Gesetzgebung nicht aus der Welt schaffen kann, ist es ratsam sich immer dort zu wehren wo es möglich ist.
Daher: Niemals allein zum Amt
Jedermensch kann zu jedem Gespräch im Jobcenter einen Beistand mitnehmen. Dies schränkt die Möglichkeiten der Schikanen in den Jobcentern ein und mittels Zeugen kann Mensch besser Sanktionen usw. abwehren.
§ 13 SGB X Bevollmächtigte und Beistände
(4) Ein Beteiligter (Kunde des Jobcenters) kann zu Verhandlungen und Besprechungen mit einem Beistand erscheinen. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit dieser nicht unverzüglich widerspricht.