Das Sozialgericht Bremen (S 22 AS 965/10 ER) hat am 01.06.2010 im Eilverfahren einen Beschluss erlassen, der für zahlreiche von Leistungskürzungen betroffene Bremer Hartz IV-EmpfängerInnen große Bedeutung hat.
Nach Auffassung der 22. Kammer, muss die BAgIS bei vollständiger Streichung der Regelleistung, den Betroffenen zeitgleich mit der Sanktionierung ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Der deutsche Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich verpflichtet für im Inland lebende Bedürftige -neben immaterieller Achtung- jedenfalls das zur physischen Existenz Unerlässliche zu gewähren.
Bei vollständiger Streichung der Regelleistung, muss die BAgIS ein ihr im Gesetz eingeräumtes Ermessen deshalb so ausüben, dass zeitgleich von Amts wegen ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen bewilligt werden: „Unterlässt es der Grundsicherungsträger in diesen Konstellationen von Amts wegen eine Ermessensentscheidung über die Gewährung der Leistungen nach § 31 Abs. 3 Satz 6 und 7 SGB II zu treffen, sind die ergangenen Sanktionsbescheide wegen Ermessensausfalls rechtswidrig.“
Dieses gilt nicht nur, wenn die von der Sanktion Betroffenen unter 25 Jahre alt sind, sondern auch für alle anderen Hartz IV-EmpfängerInnen.
Die 22. Kammer des Bremer Sozialgerichts stützt sich in seiner Entscheidung auf ältere und bereits rechtskräftige Entscheidungen der Landessozialgerichte Nordrhein-Westfalen und Berlin-Brandenburg, sowie auf die kürzliche Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (Beschluss v. 21.04.2010- L 13 AS 100/10 B ER). Die jetzige Bremer Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig und Beschwerde vor dem LSG Niedersachsen-Bremen ist zugelassen.
In dem konkreten Fall waren einem Mann aus Bremen-Nord wiederholt die Regelleistung und der Mietanteil gestrichen worden. Der Betroffene lebt zusammen mit seiner Partnerin und deren Kind. Mittlerweile ist der Familie wegen Zahlungsrückständen bei der swb das Wasser abgestellt worden und es bestehen Mietschulden.
Die BAgIS hatte in den Sanktionsbescheiden immer ausgeführt, dass „auf Antrag“ ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen gewährt werden könnten- dieses Vorgehen hält das Sozialgericht jetzt für rechtswidrig.
Nach den Erfahrungen des Bremer Erwerbslosenverbandes entspricht dieses Verfahren aber der üblichen Sanktionspraxis der BAgIS in vergleichbaren Fällen. Damit könnten auch zahlreiche Sanktionen aus der Vergangenheit rechtswidrig gewesen sein.
Betroffene können sich an den BEV wenden, um die Möglichkeit rückwirkender Leistungsnachzahlung prüfen zu lassen.
Der Bremer Erwerbslosenverband fordert von der BAgIS, die rechtswidrige, rücksichtslose und menschenverachtende Sanktionspraxis umgehend zu beenden. In der Vergangenheit zu Unrecht erfolgte Leistungskürzungen sind zurückzunehmen und die einbehaltenen Leistungen nachzuzahlen.