Stellungnahme des Bremer Erwerbslosenverbandes zum Aufruf verschiedener Erwerbslosengruppen zu Herbstaktionen 2014
Was auch immer geschieht, nie dürft Ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man Euch zieht, auch noch zu trinken. Erich Kästner
Liebe Kolleg*innen,
wir finden es richtig und gut zu den von der Bundesregierung und andere Teilen des Staates beabsichtigten Verschlechterungen in der SGB II (HartzIV)-Gesetzgebung zum Januar 2015 bundesweit vor die Ämter zu gehen und öffentliche Aktionen durchzuführen. Wir finden es dabei auch sinnvoll sich an Menschen zu wenden, die nur Teile unserer Kritik an Kapitalismus, Staat und den Hartz IV-Gesetzen teilen.
Daher werden wir uns in Bremen darum bemühen ein örtliches Bündnis, Informationsveranstaltungen und Aktionen, auch vor den Jobcentern, durchzuführen.
Allerdings möchten wir Euch nicht verhehlen, dass wir den in Lage Hörste zu den Aktionen im Herbst 2014 entwickelten Aufruf für denkbar ungeeignet und an einigen Stellen falsch halten.
Ihr schreibt:
Die Missstände in den Jobcentern haben strukturelle Ursachen: Zu wenig Personal, unzureichende Ausbildungen für die Arbeit im Jobcenter und interne Anweisungen von oben führen dazu, dass sich Leistungsberechtigte als Bittsteller und Bürger/-innen zweiter Klasse fühlen.
Wir sind der Auffassung, dass die Regelungen in § 10 des SGB II zur zumutbaren Arbeit bei Androhung von Sanktionen bei der Anlehnung von überwiegend Niedriglohn oder Leih- bzw. befristeter Arbeit die Kernpunkte der Hartz IV Gesetzgebung sind. Dies dient neben den geringen Regelsätze unter der Armutsgrenze der Schaffung von massenhaften Niedriglohnverhältnissen zum Wohle des Wirtschaftsstandorts Deutschland und damit dem hiesigen Staat, Unternehmen und deren Profiten. Dies hat eine „ganz große Koalition“ aus SPD, CDU, FDP und Grünen beschlossen und bis heute getragen. Ursache der Schikanen auf den Ämtern ist also die Gesetzgebung bereits selbst, nicht die Bedingungen unter denen sie umgesetzt wird. Die Bundesagentur und die Jobcenter sind nur die Umsetzungsorgane dieses Gesetzes.
Wenn Ihr jedoch, wie oben zitiert, zu wenig und schlecht ausgebildetes Personal als Ursache der Probleme ausmacht, scheint uns dies eine Verkehrung der Ursachen zu sein. Wir haben bei Betrachtung der Joboffensive In Bremen die Erfahrung gemacht: Mehr und besser geschultes Personal erhöht im Gegenteil den Verfolgungsdruck und die Sanktionszahlen der Betroffenen. Dagegen haben wir oft und gerade Sanktionen verhindern können, weil die Jobcenter-Angestellten „unzureichend“ ausgebildet und zu dösig waren „fachgerecht“ zu sanktionieren. Unter den Bedingungen von Hartz IV noch mehr Ausbildung für das Jobcenter-Personal zu fordern erscheint unseren und den Interessen der Hartz IV Betroffen zutiefst zu wider zu laufen. Sehr polemisch zugespitzt: Kein vernünftiger Unterdrückter, kein denkender Sklave würde nach noch mehr Unterdrückern und mehr Sklavenaufsehern rufen.
Hier scheint der Dissens zwischen uns und Euch bei der Beurteilung des „deutschen Sozialstaates“ zu liegen. Der Staat auch in seiner „sozialstaatlichen Version“ ist und bleibt der Staat der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Durch sein Gewaltmonopol und mittels Recht und Gesetz setzt er das Eigentum durch und verpflichtet so all seine InsassInnen auf dieses zur Durchsetzung ihrer Interessen. Der Wettbewerb aller gegen alle ist davon die Folge, der Staat ist so Bedingung und Voraussetzung der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse. Als geschäftsführender Ausschuss dieser Verhältnisse geht es ihm um die Schaffung optimaler Kapitalverwertungsbedingen für den eigenen Standort auf dem Weltmarkt.
Wer unter diesen Rahmenbedingungen mehr Staat zur Sicherungen der „unverkürzten Rechte“ der EmpfängerInnen von ALG II Leistungen fordert, macht den Bock zum Gärtner.
Für noch schlimmer und verkehrter halten wir die Forderungen in diesem Aufruf.
Bundesweit fordern deshalb Erwerbslosengruppen und -zusammenschlüsse:
Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass Leistungsberechtigte zu ihrem unverkürzten Recht kommen und im Bedarfsfall existenzsichernde Leistungen ohne Schikanen erhalten! Sie muss auch dafür sorgen, dass in den Jobcentern ausreichend und gut ausgebildetes Personal arbeitet.
Die zurzeit diskutierten Vorschläge, die Rechte von Erwerbslosen abermals zu beschränken, dürfen nicht Gesetz werden! Vielmehr sind die Rechte der Leistungsbezieher gegenüber den Jobcentern zu stärken!
Die örtlichen Jobcenter haben sich an bestehende Gesetze zu halten, Verfahrensregeln einzuhalten und bürgerfreundlicher zu arbeiten!
Beschäftigte, Gewerkschaften, Kirchen, Sozial- und Wohlfahrtsverbände sind aufgefordert sich mit den Erwerbslosen solidarisch erklären und dürfen die gesetzliche Einführung der Sonderrechtszone „Jobcenter“ nicht zulassen!
Euer Appell an den Staat (Bundesregierung) , an die Kirchen, DGB-Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände ist der Appell an die Verursachenden und Nutznießenden dieser Misere, eben diese doch wieder abzustellen, die Bitte an die Brandstiftenden doch auch bitte den Brand wieder zu löschen! Wir erinnern hier beispielhaft an den einstimmigen Beschluss des DGB Bundesvorstandes vom 16. August 2012 in dem er das Gesamtkonzept der Hartz Kommission begrüßt.
Ihr schürt mit Appellen damit auch Hoffnungen und Illusionen, die nicht einlösbar sind und im Zweifel zur schon eh elenden Situation derjenigen, die auf Hartz IV angewiesen sind noch dazu kommen.
So schwer und unerfreulich es auch ist, die Verbesserung der Lage der auf Hartz IV Angewiesenen werden wir nicht mit den Jobcentern, nicht mit Staat und Kapital sondern nur dagegen erreichen. Ein erster Schritt dazu endlich handlungsfähig zu werden und die so dringend nötigenden Proteste gegen das Hartz-Regime (wieder) aufzunehmen kann nur sein, sich über seinen gesellschaftlichen (Hinter)Grund klar zu werden.