Reform des Kinderzuschlags entpuppt sich als Mogelpackung

Kinderzuschlag führt Familien aus dem ALG II-Bezug, nicht aus der Armut

Durch die am 1. Oktober 2008 in Kraft getretene Reform des Kinderzuschlags sollen zukünftig 106 000 Familien den Kinderzuschlag in Anspruch nehmen können und damit 250 000 Kinder erreicht werden (bisher 100 000 Kinder).
Bei Inanspruchnahme des Kinderzuschlags wird der Bezug von ALG II Leistungen durch die Jobcenter vermieden, die Armutslagen der Familien werden aber nicht beseitigt.

Aus einem Konzeptpapier aus dem zuständigen Familienministerium von Frau von der Leyen ergibt sich, dass eine „konsequente Verbesserung der Erwerbsanreize und Verstetigung des Einkommensverlaufs“ angestrebt wird. Die Loslösung von Familien im Niedriglohnbereich aus dem Hartz IV-Bezug soll die Wirkung haben, dass diese sich leichter mit einem Leben auf Armutsniveau –trotz Erwerbsarbeit- arrangieren können. Ministerin von der Leyen: „Es ist wichtig, dass wir Eltern fördern, die aktiv für ihren Lebensunterhalt sorgen und ihren Kindern so ein Vorbild sein wollen.“ Dies hat die Nebenwirkung, dass die Kinder Billiglöhne schön früh als Normalzustand erleben und auf ihr zukünftiges Erwerbsleben im Niedriglohnsektor vorbereitet und daran gewöhnt werden.

Als weiterer Effekt aus der Kinderzuschlagsreform wird auch der Niedriglohnsektor insgesamt verfestigt und ausgebaut werden. Der Druck, aber auch der Anreiz, eine schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen wird steigen, weil dies die Möglichkeit bietet, sich aus der Abhängigkeit vom Jobcenter lösen zu kommen.

Es wird ein Wahlrecht zwischen der Inanspruchnahme von Kinderzuschlag und Leistungen der Grundsicherung (ALG II) für jenen Personenkreis eröffnet, der bei Beantragung von ALG II Anspruch auf Mehrbedarfe hätte. Speziell Alleinerziehenden wird nun unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt „freiwillig“ auf höhere ALG II-Leistungen zu verzichten, um so in den Genuss des geringeren Kinderzuschlags zu gelangen. Gerade besonders benachteiligte Familien werden durch diese Regelung zum Verzicht auf Sozialleistungen gedrängt, wenn Sie der Abhängigkeit von des Jobcenters entfliehen wollen.

Auch wird der Druck auf die Absenkung bestehender (Tarif)Löhne weiter steigen. Die Notwendigkeit der Einführung eines Mindestlohns wird nun weniger dringlich erscheinen. Kinderzuschlagreform und die anstehende Wohngelderhöhung werden zudem in zukünftige Überlegungen, in Hinblick auf die mögliche Höhe eines möglichen Mindestlohns, gleich mit einbezogen werden.

Die Bundesregierung wird sich in Zukunft trotzdem hinstellen und die Erfolge ihrer Reformpolitik auf dem Arbeitsmarkt feiern: KinderzuschlagbezieherInnen tauchen in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr auf, obwohl sich an der Lebenssituation, und vor allem der beruflichen Perspektive, dieser Menschen nicht wirklich etwas verbessert hat.

Checkliste: Könnte ich einen Anspruch auf Kinderzuschlag haben?

Der Kinderzuschlag wurde eingeführt damit Familien, die Anspruch auf ergänzende ALG II-Leistungen haben oder hätten, nun ohne diese Grundsicherungsleistungen leben können. Durch den Kinderzuschlag muss „Bedürftigkeit“ in diesem Sinne vermieden werden.
Der Kinderzuschlag beträgt pro Kind 140 €, wenn er im Einzelfall nicht durch Einkommen des jeweiligen Kindes und/oder zu hohes Einkommen der Eltern gemindert wird.

Die Frage, ob Sie einen Anspruch auf Kinderzuschlag haben, lässt sich leider nicht einfach beantworten. Die Anspruchsberechtigung erfolgt nach einem sehr komplizierten Prüfungsverfahren.
Die Voraussetzungen hängen von vielen individuellen Faktoren der einzelnen Familien ab und müssen jeweils Schritt für Schritt überprüft werden.

Wenn folgende 3 Voraussetzungen erfüllt sind, könnte Ihre Familie einen Anspruch auf Kinderzuschlag haben:
1) Sie leben mit unverheirateten Kindern unter 25 Jahre in einem Haushalt für die Sie Kindergeld erhalten.
2) Sie erreichen die neue Mindesteinkommensgrenze (Paare 900 €, Alleinstehende 600 €). Einkommen sind alle Einkünfte wie Bruttoarbeitslohn, ALG I, Renten, Unterhaltszahlungen oder Elterngeld. Nur Wohn- und Kindergeld zählen nicht als Einkommen.
3) Das Kind hat kein monatliches Einkommen von mehr als 140 €. Unterhalt, Unterhaltsvorschuss, Halbwaisenrente oder Erwerbseinkommen des Kindes zählen als Einkommen des Kindes. Kindergeld ist kein Einkommen des Kindes. Das Einkommen wird nach den Maßstäben des SGB II berücksichtigt und bereinigt.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, macht es Sinn zu prüfen, ob Sie eventuell kinderzuschlags-berechtigt sind. Befinden Sie sich nicht im Hartz IV-Bezug wäre vorher noch festzustellen, dass Sie einen Anspruch auf Hartz IV-Leistungen hätten.
Sollten die Anspruchsvoraussetzungen momentan noch nicht erfüllt sein, könnte sich dies ab 01.01.2009 durch die Erhöhung des Wohngeldes ändern. Eine erneute Prüfung könnte dann sinnvoll sein.
Zuständig für die Antragstellung ist Ihre Familienkasse, die auch das Kindergeld bewilligt.

Der Bremer Erwerbslosenverband berät Sie bei der Frage, ob für Sie ein Anspruch auf Kinderzuschlag besteht. Außerdem verweisen wir auf unser Merkblatt „Kinderzuschlagsberechnung“.

Bei ALG II-Bezug: Kinderzuschlag muss beantragt werden

Der Kinderzuschlag ist eine sogenannte vorrangige Leistung gegenüber den Hartz IV-Leistungen. Dies heißt, wenn Sie durch den Kinderzuschlag und gegebenenfalls Wohngeld keinen Anspruch mehr auf ALG II-Leistungen haben, müssen Sie den Kinderzuschlag beantragen.

Wenn Sie bisher ALG II Leistungen erhalten, kann das Jobcenter Sie auffordern den Kinderzuschlag zu beantragen. Tun Sie dies nicht, kann das Jobcenter die Leistungen trotzdem einstellen und für Sie einen Antrag auf Kinderzuschlag bei der Familienkasse stellen.
Voraussetzung immer: Es darf –gegebenenfalls unter Berücksichtigung eines Anspruchs auf Wohngeld- keine Bedürftigkeit im Sinne des SGB II mehr vorliegen.
Wenn Sie gegen eine solche Aufforderung Widerspruch einlegen, hat dies immer aufschiebende Wirkung und das Jobcenter darf die Leistungen vorerst nicht einstellen. Ein Widerspruch ist dann ratsam, wenn Sie meinen, durch die Inanspruchnahme von Kinderzuschlag wären Sie schlechter gestellt als vorher.

Eine solche Aufforderung kann speziell bei nicht verheirateten Paaren problematisch sein, wenn ein Partner seinen Krankenversicherungsschutz verliert und sich selber versichern muss.

Wenn Sie gerade in einer Maßnahme sind, die das Jobcenter finanziert (und Sie diese gerne beenden würden), kann es strittig sein, ob und in welcher Form (Darlehen ?) die Kosten weiter bezahlt werden. Es ist ratsam, eine schriftliche Zusicherung auf Weiterförderung als Zuschuss zu verlangen.

Zur Zeit ist es unklar, ob für Paare die Möglichkeit besteht sich gegen den Verweis an den Kinderzuschlagsbezug zu wenden, wenn Sie durch die gezahlten Rentenversicherungsbeiträge im ALG II Bezug besser gestellt wären.

Zu beachten ist auch, dass ein Anspruch auf GEZ-Befreiung nur beim Bezug von Hartz IV besteht, nicht aber beim Bezug von Kinderzuschlag.

In der Mehrheit der Fälle, bringt der Kinderzuschlag Ihnen aber eine finanzielle Besserstellung und erspart auch die oftmals zermürbenden Auseinandersetzungen mit dem Jobcenter (Eingliederungsvereinbarung, Bewerbungspflichten etc).