Folgenden Redebeitrag haben wir auf der Kundgebung von ver.di und Betriebsräten gegen Rechtsruck und Sozialabbau am 13. November 2024 gehalten:
„Beschissen ist geprahlt“ – das ist jetzt nicht sonderlich vornehm formuliert aber es bringt die Lage der Armen und Erwerbslosen in Bremen auf den Punkt.
Fast jede dritte Bremerin und jeder dritte Bremer gelten offiziell als arm, Bremen ist das Bundesland mit der höchsten Armutsquote. 132.000 von ihnen, von uns, müssen staatliche Leistungen beziehen. Auch bei den Arbeitslosenzahlen ist Bremen spitze, es führt die traurige Statistik mit den höchsten Arbeitslosenzahlen in Deutschland an. Auf fast 42.000 Arbeitslose kommen aber nur knapp 9.000 offene Stellen. Dafür ist Bremen aber die heimliche Hauptstadt der Zeitarbeit: Unsichere Jobs von denen man oft auch in Vollzeit kaum leben kann. Und bei alle dem haben wir noch nicht über die stetig steigenden Mieten gesprochen oder über die lächerlichen 6,53 Euro, die im Bürgergeld pro Tag für Lebensmittel vorgesehen sind, während die Preise für Grundnahrungsmittel immer weiter erhöht werden.
Wirklich vulgär ist hingegen die Verachtung, die Politiker*innen fast aller Parteien regelmäßig gegenüber Armen und Erwerbslosen zum Ausdruck bringen. Sie versuchen sie als Sündenböcke für fast alles abzustrafen. Ist das Gesundheitssystem nicht kostendeckend ausfinanziert, wird die Schuld in angeblich viel zu hohen Regelsätzen gefunden. Fallen die Gewinne deutscher Automobilhersteller zu niedrig aus, sollen die Löhne und Sozialleistungen gesenkt werden. Drohen auf Grund von steigender Arbeitslosigkeit und Preiserhöhungen ganze Regionen zu verarmen, werden eine Arbeitspflicht oder erzwungene Umzüge gefordert.
Als Anfang letzten Jahres das „Hartz IV“-System in „Bürgergeld“ umbenannt wurde, sollte das nicht nur ein neuer Name sein. Alles sollte jetzt ganz anders werden, als sich die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder sich damals das 2005 gedacht hatte. Das „Fördern und Fordern“ des „Genossen der Bosse“, bestand nämlich vor allem aus fordern: Angesparte Rücklagen und Altersvorsorgen mussten erst ausgegeben und dann noch der schlecht bezahlteste Job angenommen werden. Hartz 4, das war nicht nur „Armut per Gesetz“, sondern auch für viele Jahre das Rückgrat des „Erfolgsmodells Deutschland“. Mit Hartz 4 konkurrierte der Standort Deutschland andere Staaten, vor allem in Südosteuropa, in die wirtschaftliche Abhängigkeit und Armut.
Seitdem ist viel Wasser die Weser runtergeflossen, und das Bürgergeld sollte nun endlich für „Augenhöhe“ sorgen – die Menschen in den Jobcentern sollten wie Menschen behandelt werden. Die Arbeitsweise sollte sich ändern, Menschen sollten in Ausbildung und Qualifizierung vermittelt werden. Doch das scheint schon wieder Vergangenheit zu sein. Das Bürgergeld wäre damit immer noch weit weg gewesen von einer sanktionsfreien Grundsicherung, mit der ein würdiges Leben für alle die hier wohnen, möglich ist. Aber es wäre eine kleine Verbesserung gewesen.
Mit dem Bundeshaushalt 2025 wird diese neue Richtung sehr wahrscheinlich begraben werden. Und das liegt nicht daran, dass der Staat gerade hier sparen müsste. Sie erklärt sich auch nicht nur über die liberale Wirtschaftstheorie der Regierung. Die Bundesregierung sieht sich hier, wie auch in ihrer verschärften Abschiebepolitik, unter Druck gesetzt durch die immer stärker werdenden Rechten. Sie scheint zu glauben, indem sie selber Teile der rechten Politik übernimmt, ihnen das Wasser abgraben zu können.
Mitten im Rechtsruck hat sich die Bundesregierung so entschieden in die rechte Verachtung für Arme und Lohnabhängige miteinzusteigen und Sozialabbau zu betreiben. Vermutlich erleben wir hier gerade nur den Anfang einer Vielzahl von noch folgenden Kürzungen.
Diese Perspektive sorgt nicht nur bei den Mitarbeitenden im Jobcenter für ein Unwohlsein mit ihrer Arbeit. Sie ist vor allem ein Schlag ins Gesicht sehr vieler Menschen in Bremen. Für alle, die bei Bildungsträgern arbeiten und jetzt um ihre Jobs bangen müssen. Für all jene, die andere Leistungen anbieten, die vom Jobcenter finanziert werden. Aber vor allem ist es ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die auf diese Leistungen angewiesen sind.
Dass der Rechtsruck längst in unserem Alltag angekommen ist und nichts Abstraktes ist, zeigt folgendes Beispiel aus unserer Beratungspraxis: Als Reaktion auf einen Weiterbewilligungsantrag für Bürgergeld forderte das Jobcenter die Kontoauszüge an und prüfte diese intensiv. Dabei wurde penibel berechnet, wie viel Geld die Person in Supermärkten ausgegeben hatte. Doch statt das Bürgergeld wie gewohnt weiterzuzahlen, stellte das Jobcenter die Leistungen sofort und vollständig ein. Die Begründung: Die geringen Ausgaben für Lebensmittel seien unmöglich ausreichend – hier müsse ein Fall von Sozialbetrug vorliegen. Es drohte die Obdachlosigkeit, ganz zu schweigen von dem plötzlich fehlenden Geld für Lebensmittel und ähnliches. Die Jagd auf die so genannten Sozialschmarotzer nehmen Einzelne in den Behörden im Zweifel auch selber in die Hand – mit brutalen Folgen für die Betroffenen.
Die Ironie: Die Ausgaben für Lebensmittel entsprachen fast genau dem Betrag, der im Regelsatz dafür vorgesehen ist. Letztlich konnten wir diesen Fall vor Gericht gegen das Jobcenter gewinnen. Doch er zeigt, dass der Rechtsruck längst Teil unseres Alltags ist – und das ganz ohne neue Kürzungspolitik oder Gesetzesänderungen.
All das dürfen wir nicht akzeptieren! Lasst uns jetzt gemeinsam dagegen zusammenstehen und aktiv werden, als Beschäftigte, als Erwerbslose, als solidarisch Aktive. Unsere Antwort gegen Rechtsruck und Sozialabbau ist praktische Solidarität – jetzt und hier!