Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ändert gar nichts !
Wie erfolgreich ein Gesetz ist, lässt sich weniger an seiner reibungslosen Umsetzung, als vielmehr in seiner Wirkung in die Gesellschaft messen.
Die Wirkung von Hartz IV – einem wesentlichen Bestandteil der “Agenda 2010“ – lässt sich erkennen, wenn die Grunddaten über Lohneinkommen, Niedriglohn und Umverteilung zwischen Lohnabhängigen auf der einen und BezieherInnen von Kapitaleinkünften auf der anderen Seite seit seiner Einführung betrachtet werden. Diese Betrachtung ist heute, fünf Jahre nach der Einführung von Hartz IV, anhand des erhobenen statistischen Materials, möglich.
Hatte der damalige Arbeitsminister Clement noch die bessere Vermittlung von Arbeitslosen und die unsinnigen Doppelstrukturen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe als wesentliches Argument für das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) als Begründung eingeführt, so hatte sein damaliger Chef, Bundeskanzler Schröder ganz andere Visionen. Im Januar 2005 ließ er auf dem Treffen der Welteliten in Davos (Weltwirtschaftsforum) folgende Erkenntnis verbreiten: „ Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“ Dies basiert nach Schröder auf dem Zwang zur Annahme jeglicher Arbeit. „von ihnen (den Erwerbslosen) aber auch fordert, dass jede in Deutschland zumutbare Arbeit akzeptiert wird – und bei Strafe der Leistungskürzung oder ansonsten der Reduzierung – erfolgreich sein wird.“
Und Schröder hatte recht: Aus dem Schaffen von Niedriglohnbedingungen – fehlender gesetzlicher Mindestlohn und Unterlaufen des europaweit festgelegten Prinzips „Equal Pay“ für die Zeitarbeit durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und dem Zwang zur Arbeitsannahme jeglichen Lohns (Hartz IV), wurde ein gigantischer Niedriglohnsektor geschaffen. Für die meisten ArbeitnehmerInnen war ein Verlust von Reallohn die Folge.
Die Fakten:
Das Arbeitslosengeld II (HartzIV) hat sein Ziel erreicht; eine gigantische Umverteilung zu Lasten der Lohnabhängigen. Wenn auch in der öffentlichen Wahrnehmung die Stockfehler dieser Gesetzgebung, die massiv ansteigenden Klagen und der Missbrauch von Maßnahmen, im Vordergrund stehen, als ein zentrales Element eines Ausbaus des Niedriglohnsektors, hat Hartz IV, im Zusammenspiel mit fehlendem Mindestlohn und Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, seine Wirkung voll entfaltet. Die herrschenden Eliten können zufrieden sein – ihre Gewinne haben dank Hartz IV -einen enormen Aufschwung erfahren.
Deutschland das Lohn- und Steuerparadies des Kapitals
Unlängst wurde Deutschland ein Sonderweg in der Lohnpolitik bescheinigt. Dieser besteht darin, dass in enger Kooperation von Bundesregierungen, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften das Lohnniveau in Deutschland im Verhältnis zu den anderen Industriestaaten in den letzten 10 Jahren erheblich abgefallen ist. Die Reallöhne stagnieren in den letzten 10 Jahren. Zwischen 2004 und 2008 – mitten in einer Aufschwungphase – blieben selbst die durchschnittlichen Bruttostundenlöhne konstant. (leichter Anstieg in der Industrie und erheblicher Abfall in Dienstleistung und Handwerk). Insbesondere der Niedriglohnsektor erfuhr in Deutschland einen rasanten Anstieg. Von 1997 auf 2007 stieg der Anteil der Niedriglöhner von 15 auf 22 Prozent aller abhängig Beschäftigten. Davon erhalten 2 Millionen Menschen einen Bruttostundenlohn von 5 Euro und weniger. Damit liegt Deutschland vor Großbritannien (21 Prozent) Frankreich (11 Prozent) Dänemark (8,5 Prozent) und weist vor allem die größte Steigerungsrate auf.
Dies wirkt sich auch auf die Lohnstückkosten, die für die Unternehmen spannendste, weil profiträchtigste Größe, aus. Die Lohnstückkosten stiegen in Deutschland von 1998 auf 2008 um 3,58 Prozent – im übrigen Euroraum um 19,85 Prozent. Dies war die Grundlage für die Exportindustrie zum Exportweltmeister. Deren Ertrag wurde allein von den Kapitalbesitzern eingestrichen – Ihr Anteil am Zuwachs des Volkseinkommens liegt bei über 70 Prozent.
Die Erreichung dieses Ziels war Inhalt und Wille der diversen „Reformprojekte“ der Bundesregierung von SPD und Grünen unter Kanzler Schröder und wurde nahtlos fortgesetzt von Merkel und Steinmeier. Wesentlich war die Agenda 2010 mit den vier Hartz Gesetzen, der Einführung der Riester Rente und zwei wesentlichen Maßnahmen im Arbeitsrecht. Zu letzterem zählt das systematische Unterlaufen der EU-Richtlinie zur Zeitarbeit durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die EU hatte 2003 das Prinzip „Equal Pay“ für die Zeitarbeit beschlossen. Danach sollen Zeitarbeiter den gleichen Lohn bekommen, den auch die Kollegen der Stammbelegschaften erhalten. Zeitarbeiter und Kernbelegschaftskollege bei Renault erhalten den gleichen Lohn. Dies gilt mit Ausnahme Deutschlands in ganz Europa. Grund ist die Passage in § 3 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, dass eine Ausnahme vom Prinzip des gleichen Lohns für den Fall vorsieht, das ein Tarifvertrag zur Anwendung kommt oder diese Anwendung einzelarbeitsvertraglich vereinbart wird. Damit kommen Löhne von 6,15 Euro Brutto in der Zeitarbeit zustande. Alles unter freundlicher Mitwirkung der DGB Gewerkschaften.
Der zweite gravierende Unterschied zu Resteuropa liegt im Fehlen gesetzlicher Mindestlöhne. Während diese für 2009 in Belgien 8,41 Euro, in Frankreich 8,71 Euro, in Irland 8,65 Euro und in den Niederlande 8,47 Euro brutto pro Stunden ausmachen, arbeiten in Deutschland ca. 6 Millionen für zum Teil deutlich weniger Geld.
Mit diesen Unterlassungen bzw. Einschnitten wurde eine Niedriglohnschneise geschlagen, die mit dem Zwangsinstrument von Hartz IV gefüllt wurde. In § 10 des SGB II wird die Zumutbarkeit von Arbeit für Hartz IV EmpfängerInnen definiert. Danach ist jede Arbeit zumutbar unabhängig vom Lohn, den Fahrtzeiten und früheren Beschäftigungen und Qualifikationen. Auch die arbeitsrechtliche Rechtsprechung zum sittenwidrigen Lohn (weniger als 2/3 des ortsüblichen Lohns) greift, bei immer weiter um sich greifenden Minilöhnen, kaum noch.
Die Zwangsinstrument zur Organisierung der Treibjagd der Hartz IV EmpfängerInnen
in den Niedriglohn sind die Eingliederungsvereinbarungen, die Sanktionen und der Niedriglohngewöhnungssektor mit „Ein-Euro-Jobs“, Trainingsmaßnahmen und Praktika zum Nulltarif.
Insbesondere der Sanktionsparagraph 31 hat es in sich. Selbstkündigung, fehlende Bewerbungsbemühungen, ja selbst die Ablehnung eines „Ein-Euro-Jobs“ lösen eine Sanktion aus. Nach den Hartz-Gesetzen ist jede Arbeit, auch bei Löhnen von 5 Euro Brutto und weniger, zumutbar. Wer eine solche Arbeit ablehnt oder abbricht, wird mit einer Sanktion – Leistungskürzung von mindestens 30 Prozent der Regelleistung für drei Monate – belegt. Jungen Menschen unter 25 Jahren wird die Regelleistungen für drei Monate vollständig, im Wiederholungsfall auch die Miete, gestrichen.
Insbesondere die gigantisch aufgeblähte „Arbeitslosenbetreuungsindustrie“ mit geschätzten 50 000 Beschäftigten ist zu einer „Schule der Nation“ für die Gewöhnung an Niedriglohn und die Erziehung zu untertänigem Verhalten, insbesondere für junge Menschen, geworden. Menschen, die zum Teil zum wiederholten Male die Mühle der „Ein-Euro-Jobs“ durchlaufen haben, haben sich an einen rechtslosen Status, fern von sonst üblichen Rechten eines Arbeitnehmers gewöhnt. Sie wissen die Prämie, die über die laufenden Leistungen hinaus gezahlt werden zu schätzen. War dies zu Beginn von Hartz IV noch wenig im Verhältnis zu den Möglichkeiten mit regulärer Arbeit seinen Unterhalt zu bestreiten, so kann heute festgestellt werden, dass sich im Niedriglohnsektor kaum mehr zu verdienen ist. Angesichts der Kurzzeitigkeit vieler prekärer Arbeitsverhältnisse (Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer in der Zeitarbeit beträgt drei Monate) ist ein „Ein-Euro-Job“ mittlerweile zu einer zumindest für 6 bis 12 Monate gesicherten Einkommensquelle geworden.
Angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz IV Regelsätzen, die deren gesetzeskonformes Zustandekommen verneint hat, ist jedoch keine Hoffnung auf Beseitigung der Armutssätze durch die Herrschenden angesagt.
Sehr treffend sagte der Multimilliardär Warren Buffet Ende 2006, zur New York Times:
„Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir werden gewinnen.“
Hartz IV ist Bestandteil dieses Klassenkrieges gegen Lohnabhängige und Erwerbslose
Hartz IV muss weg !
Sondergesetze wie das Asylbewerberleistungsgesetz sind abzuschaffen. Notwendig ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von aktuell mindestens 10 Euro pro Stunde, der ein Leben ohne Armut ermöglicht. Zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit ist eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich notwendig.