SoKo-Thesen zum Herbst 2010

Ein heißer Herbst, der frösteln liess !
1.
Es gab europaweit nicht den heißen Herbst, aber doch kam einiges in Bewegung. Vor allem in Griechenland und Frankreich wurde wirklich heiß gekämpft – real gingen diese Kämpfe für die ArbeiterInnenklasse überall verloren.
Dabei muß die meist rein nationale Orientierung als große Schwäche angesehen werden. Man stelle sich nur einmal die Wirkung der Abwehrkämpfe vor, wenn Firmenteile eines Europakonzerns (z.B. Siemens) zugleich in Deutschland, Frankreich, England, Finnland, Portugal und Polen bestreikt worden wären.
Ein verlorenes Jahr Eins nach dem Höhepunkt der Finanzkrise ? Insofern es in einzelnen Staaten wenigstens punktuell gelungen ist, den durchweg schädliche Einfluß sozialdemokratischer Gewerkschaftsspitzen (mal in traditioneller, mal in postkommunistischer Gestalt) zurück zu drängen, neue Teile der ArbeiterInnenklasse ins Feld zu führen (Basisgewerkschaften in Italien und Frankreich), Kampfformen vor allem in Selbstorganisation und -bestimmung zu entwickeln, waren interessante Aspekte im Klassenkampf zu beobachten.
Nicht weniger als eine Neuformierung von ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung in ganz Europa scheint unausweichlich. Formen antikapitalistischer Kooperation auf europäischer Ebene müssen komplementär aber eigenständig entwickelt werden. Solche Halbwahrheiten wie die ‚Partei der Europäischen Linken‘ oder die Führung des Europäischen Gewerkschaftsbundes stören dabei deutlich mehr als dass sie von Nutzen sind, weil sie verheißen, was sie faktisch konterkarieren.

2.
Der Herbst in Deutschland war keineswegs heiß – eher fröstelnd, weil es trotz der heftigen Angriffe auf die Lebensbedingungen der Menschen keinen wirklichen Widerstand gegeben hat. Es scheinen Resignation und Vereinzelung vorzuherrschen. Hinzu kommt das in jahrzehntelanger Stellvertreterpolitik ausgebildete extreme Sicherheitsbedürfnis der Belegschaften, das sie in den Kämpfen gewahrt wissen wollen. Die Menschen hätten es vielleicht gerne ‚heiß‘ gehabt, aber ohne Perspektiven für einen erfolgreichen Kampf, ohne Organisationen, welche die Abwehr organisieren können und auch wollen, liegt die Schwelle für den Beginn von großen Kämpfen schon sehr hoch. Solche Organisationen sehen wir z. Zt. nicht in der BRD – und dann bleibt es eben kühl !
Der Verzicht des DGB auf eine kämpferische Kampagne wurde von folgenden Rahmenbedingungen bestimmt: Es standen in Deutschland keine Massenentlassungen an und die Konjunktur war gespalten. Die Schlüsselindustrien, Stahl- und Automobilbranche, bewegten sich im Herbst auf einen Boom zu. Taktisch geschickt nutzte die IG-Metall diese Situation im Stahlbereich aus und setzte mit der Aufnahme der Leiharbeit in die Flächentarifierung einen möglichen Stolperstein für Auseinandersetzungen. Andererseits, während in anderen europäischen Ländern die Gewerkschaftsführungen ihre Rolle als ‚Führung‘ bei sozialen Abwehrkämpfen mehr oder minder wahrnahmen, sabotierte die DGB-Führung diese Aufgabenstellung komplett.

3.
Dort wo es keine Strukturen ‚politischer Kontrolle‘ gab, wurde es heiß, gab es mit ‚Stuttgart21′ und ‚Castor Schottern !‘ neue bzw. wiederbelebte alte Impulse in der politischen Landschaft. Spontane Aktionen innerhalb einzelner Betriebe und Branchen gab es mehrfach, teilweise ohne und gegen die Gewerkschaftsführung (z.B. Daimler in Berlin, in Bremen und Sindelfingen), teilweise auch mit Unterstützung einzelner weniger Verwaltungsstellen von DGB-Gewerkschaften – jedoch weniger als 2009 ! Weil aber nirgendwo eine Zusammenführung dieser Einzelkonflikte oder sogar eine darüber hinausgehende gemeinsame Perspektive entwickelt wurde, blieben diese Aktionen wirkungslos und brachen zusammen.
Es wirkt sich aus, dass hierzulande z. Zt. außer dem DGB keine anderen bundesweiten relevanten Strukturen existieren, die solche Abwehrkämpfe organisieren könnten. Die Bündnisse „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ hätten solche Strukturen begründen können und konnten mit ihren beiden Demonstrationen auch mediale Aufmerksamkeit erregen, kamen aber in der Mobilisierung nicht über ihr eigenes Umfeld hinaus.
Der DGB hat für die eigene Minderheit der ‚Unentwegten‘ doch noch Demos und Kundgebungen organisiert, wo sie hinfahren und ‚Dampf ablassen‘ durften.
Die Erwerbslosendemo in Oldenburg war zwar klein, aber bezogen auf die Ausgangslage war das eine respektable Leistung von Selbstorganisation, auch wenn ver.di als relevanter Unterstützer dabei war. Letzteres ist auch insofern bemerkenswert, als die seit über 10 Jahren im DGB-Rahmen befindlichen Arbeitsloseninitiativen bisher nie aus ihrem Schattendasein heraustreten konnten.
Die geplante Bankenblockade zum 18.10. in Frankfurt hätte eine weitere Flamme für einen heißen Herbst werden können. Sie wurde von den Organisatoren abgesagt, weil eingeschätzt wurde, dass die Kräfte für eine erfolgreiche Aktion nicht ausreichen würden. Auch dies spricht für die relative Isolation aktionsbereiter Kräfte. Insofern bleibt diese Aktion auf der Agenda für 2011.
Die „Belagerung des Bundestages“ ließ sich anfangs gut an. Es gab dann sehr scharfe Beschränkungen und der Aktionsumfang wurde sehr klein. Uns ist nicht klar, was hier ausschlaggebend war:
Die „staatlichen Operationen“, die zuerst auf eine Kriminalisierung und dann auf eine Verwirrung um die Demoroute abzielten ? Oder die zu enge Verbindung zwischen den lokalen antikapitalistischen Strukturen auf der einen und den Berliner Strukturen der Linkspartei auf der anderen Seite, was Misstrauen gegenüber Vereinnahmung provozierte ? Oder waren die Bremsfaktoren aus Polizeitaktik, Terrorhysterie und kaltem Schneetreiben entscheidend für den Misserfolg ?

4.
Welche Faktoren führten zum Verlöschen der vereinzelten Glut-Herde? Wo sich Strukturen wie einige Verwaltungsstellen von DGB-Gewerkschaften, der SPD oder der Partei ‚Die Linke.‘ (PDL) um die vereinzelt entstandenen Glut-Herde gekümmert haben, sind die Flämmchen in der Regel schnell verlöscht.
Der Widerstand in Stuttgart war selbsttragend und radikaldemokratisch, aber er war auch keine exklusive Aktion der Arbeiterklasse. Als die Situation dort staatlicherseits nicht mehr kontrollierbar wurde, war die klassische SPD-Funktion gefragt („… nur wir Sozialdemokraten können Deutschland retten…“). Die SPD kann diese Rolle aber nicht mehr ausfüllen, die Grünen noch nicht. Es musste dann Heiner Geißler diese Funktion übernehmen und versuchen, dem Widerstand die Spitze nehmen. Ansonsten zeigte sich ‚Stuttgart21′ als eine geradezu klassische Schulung widerständiger Kultur.

5.
Konnte die antikapitalistische Linke in diesem Herbst etwas erreichen? Jedenfalls dürfte jener Teil der antikapitalistischen Linken, der den Sommer-Versprechungen auf einen „heißen Herbst“ geglaubt hatte, stark frustriert worden sein. Diejenigen, die eh nichts auf diese Versprechen gegeben haben, sondern primär auf die eigenen Kräfte bauen wollten, sehen sich bestärkt durch den unerwarteten Widerstand in Stuttgart und den durch die Neue-AKW-Politik beförderten Widerstand in Gorleben.
Aber bedeutet das auch einen Gewinn von „organisatorischer Stärke einer antikapitalistischen Linken“? Wir meinen: Nein. Da sind zwar inzwischen gute Voraussetzungen entstanden, aber keine neuen oder vergrößerten Organisationsstrukturen. Vielmehr versuchen GRÜNE und PDL mit unterschiedlichem Erfolg ganz eifrig, die neu Politisierten/Radikalisierten in die eigenen Reihen zu integrieren – und sie damit objektiv wieder zu zähmen.

6.
Die Aufgaben für AktivistInnen der antikapitalistischen Linken bleiben für alle Beteiligten auf der Tagesordnung: die Vereinzelung in Gestalt bundesweit stark gestreuter Gruppen und Individuen zu überwinden und weitere Vernetzung zu betreiben,
– um eine gemeinsame Kampagnenfähigkeit zu verbessern und einen politisch eigenständigen gesellschaftlich wahrnehmbaren antikapitalistischen Pol formieren zu können;
– um gemeinsame Anstrengungen in Hinblick auf eine zeitgemäße Kritik des Kapitalismus zu unternehmen und diese bis zu einem tauglichen Aktionsprogramms mit Übergangscharakter fortzuführen – hier spielen Überlegungen eines zu entwickelnden Ökosozialismus eine herausragende Rolle;
– um in den kommenden Wochen und Monaten konkret insbesondere die Unterstützung der AktivistInnen der Gewerkschaftslinken zu forcieren;
– um die feministischer Arbeit insbesondere vor dem Hintergrund verschärfter Ausbeutungsbedingungen für Frauen im EU-Markt zu (re-) vitalisieren
– und um einen europaweit verstärkten Rassismus, der sich in erster Linie gegen die Interessen der Migranten richtet, zu bekämpfen.
Unser Personenbündnis, die Sozialistische Kooperation (SoKo), bietet all‘ jenen eine verbindliche Zusammenarbeit an, die gleiche oder ähnliche Schlüsse aus der Niederlage und den Erfahrungen des sogenannten ‚heißen‘ Herbstes ziehen.
Arbeitsausschuss der SoKo, 28.12.10

www.sozialistische-kooperation.de