Die Vertreibung der Überflüssigen

Die Symbiose von Lohndrückerei, Verarmung, aktiver Arbeitsmarktpolitik und Rassismus

In Saudi Arabien und einigen Golfstaaten, wie dem von „Muslimbrüdern“ beherrschten Katar, ist es üblich Arbeitskräfte nach Bedarf ( 2500 Tote Bauarbeiter beim Errichten der Stadien für die Fußball WM) ins Land zu holen. Gibt es keine Arbeit mehr, findet in Kooperation von Unternehmen und Polizei die Ausweisung statt. Die maximale Verweildauer der Lohnsklaven beträgt zum Beispiel in Saudi Arabien ca. 6 Jahre.

„Völlig anders“ die Bundesrepublik Deutschland. Jede Bürger*in eines anderen EU Staates kann sich in Deutschland aufhalten. Allerdings nur, wenn, erstens ein Arbeitsverhältnis von mindestens 6 Stunden in der Woche vorliegt oder wenn zweitens ein „rechtmäßiger“ Aufenthalt von mindestens 5 Jahren, mit überwiegender Arbeitsbiographie, stattgefunden hat. Der Aufenthalt wird innerhalb dieser 5 ersten Jahre sofort beendet, wenn ein Arbeitsverhältnis durch eigene Schuld, in der Regel durch eine fristlose Kündigung, durch den Unternehmer beendet worden ist. Wird ein Arbeitsverhältnis betriebsbedingt, zum Beispiel durch Auftragsmangel oder aktuell durch Corona beendet, besteht bei einem sozialversicherungspflichtigen Einkommen ein Anspruch auf ALG I oder bei einem Minijob ein Anspruch auf Hartz IV für 6 Monate.

In der Praxis ist es so, dass viele Zuwander*innen aus süd oder östlichen EU Staaten, zum Teil wegen der Sprachkenntnisse nur sehr schwer einen Zugang zu unbefristeten sozialversicherungspflichtigen Jobs haben. Die erste Durchgangsstufe ihres geplanten Aufenthalts sind zumeist Minijobs oder andere prekäre Arbeitsverhältnisse wie tageweise Beschäftigung oder Leiharbeit oder Schwarzarbeit. Hier ist ein Wechsel zwischen kurzen Beschäftigungsphasen, zum Teil mit aufstockenden Hartz IV Leistungen, Arbeitslosigkeit ohne ALG I Anspruch oder vollständigen Hartz IV Phasen üblich. Dies gilt in einigen Beschäftigungssektoren wie Bau, Gastronomie, Gartenbau oder Logistik auch für Menschen mit deutschem Pass oder einem befristeten bzw. Daueraufenthaltsrecht. Eine Gruppe von Unternehmen vornehmlich im Dienstleistungs-, und Baugewerbe haben in großem Umfang einen Arbeitssektor aufgebaut, der sich aus einer Mischung aus Minijob, ergänzt mit Schwarzarbeiter und aufstockenden Hartz IV Leistungen zusammensetzt. Hier werden für die überwiegend zugewanderten Arbeitskräfte auch Wohnungen angeboten, die die Abhängigkeit von diesen Unternehmen zusätzlich erhöhen.Auch der Wechsel vom Saisonarbeiter*innenstatus in der Ernte, bei einem ausländischen Unternehmen beschäftigt, und Beschäftigung bei inländischen Unternehmen ist zur Überlebensstrategie für viele Menschen unausweichlich.

Dieser Arbeitssektor umfasst mehrere Millionen Menschen und ist in bestimmten Sektoren der Wirtschaft zur Regelbeschäftigung geworden, in denen nur noch anleitenden oder administrative Posten dauerhaft besetzt werden.

Dieser Beschäftigungssektor ist seit dem ersten Corona Lockdown in besondere Weise betroffen. Es gibt zu einem großen Teil wegen Befristung, Geringfügigkeit oder tageweiser Lohnarbeit keine Kurzarbeitsgelder bekommen können. Prekäre Arbeitsverhältnisse in den ausgegliederten Randbereichen der Unternehmen lassen sich wesentlich leichter Auflösen als die der Stammbelegschaften.

Die Statistik weist für 2020 einen Rückgang der Minijobs um ca. 600 000 Stellen aus.

Hiervon sind in überproportionaler Weise migrantische Arbeitskräfte aus EU Staaten betroffen.

Da der Aufenthalt in den ersten 5 Jahren nur bei Arbeit legal ist, müsste jeder Person nach etwa 6 Monaten Arbeitslosigkeit das Land verlassen. Überprüfen können dies die Meldeämter jedoch nicht. Sie sind nicht in der Lage, die ausgeübte Tätigkeit oder Erwerbslosigkeit festzustellen.Diese Kontrollen macht das Jobcenter. Wer aus einem prekären Arbeitsverhältnis heraus arbeitslos wird hatte weder die Möglichkeit Rücklagen zu bilden um längere Phasen ohne Lohn zu überbrücken, noch anderweitig die Möglichkeit die Kosten für Miete und Lebensunterhalt zu bestreiten. Am Weg zum Jobcenter kommt niemand vorbei. Praktisch trifft das Jobcenter die Vorentscheidung, wenn für eine Person (auch mit Kindern) nach 6 monatigem Leistungsbezug ohne Lohneinkommen vom Jobcenter die Leistungen eingestellt werden und gleichzeitig die Meldung zum Meldeamt ergeht, dass die Aufenthaltsvoraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Das Gleiche gilt, wenn das Jobcenter annimmt, der Arbeitsplatzverlust sei selbst verursacht. Das Meldeamt beginnt dann mit der Einleitung des Entzugs der Aufenthaltsberechtigung.

Die Schlussfolgerung daraus ist: Die EU betrachtet die Freizügigkeit der Menschen nicht als Bürgerrecht, sondern ausschließlich als Freizügigkeit der benötigten Arbeitskraft in der EU.

Der Unterschied zu Saudi Arabien besteht also darin, dass eine 6monatige Übergangsfrist zwischen Arbeitsplatzverlust und Abschiebung besteht und das diese Zwischenzeit mit Hartz IV überbrückt wird. Außerdem ergeht der Beschluss zur Aufenthaltsbeendigung hier in deutscher Sprache, während Saudi Arabien sich des Arabischen bedient. Ansonsten sind Zweck und Ziel der Beschäftigung von befristet Zugewanderten gleich. Solange mit der Beschäftigung von Arbeitsmigranten der Profit der Unternehmen sprudelt ist Hiersein erwünscht, ansonsten raus.

Die rassistische Praxis der Jobcenter

Gäbe es nur die gesetzeskonforme Anwendung der oben beschriebenen Prozesse, wären wir allein bei Optimierung der Ausbeutung der doppelt freien Lohnarbeiter*innen. Allerdings kommt oben drauf noch die rassistisch motivierte Praxis in den Jobcentern, da es zu erheblichen Abweichungen von den vorgesehenen rechtlichen Prüfungen kommt.

Die Berater*innen des BEV haben in den letzten Jahren viele Menschen vor allem aus Bulgarien und Polen bei ihren permanenten Auseinandersetzungen mit den Jobcentern begleitet. Jetzt kommen wir zu dem Schluss, dass ein willkürliches Aushungern der Zugewanderten EU Bürger*innen stattfindet. In vielen Fällen sind rechtlich einwandfrei Voraussetzungen des Leistungsbezuges gegeben. Trotzdem kann das Jobcenter erst nach Anrufung des Sozialgerichts gezwungen werden den betroffenen Leistungen auszuzahlen. In vielen Fällen verlieren die Menschen, überwiegend Familien mit Kindern, ihre Wohnungen, häufen erhebliche Schulden bei Vermietern oder den Krankenkassen an. Sie sind dann leichte Beute für Unternehmen die noch schlechtere Arbeits-, und Lohnbedingungen am „Arbeitsmarkt“ durchsetzen wollen und können.

Die häufigsten „Rechtsbrüche“ sind die sofortige Einstellung des Leistungsbezuges bei Verlust des Arbeitsplatzes, die mehrmonatige Verzögerung der Zahlungen nach Antragstellung.

Viele haben aufgegeben und sind in ihre Ursprungsländer zurückgekehrt, zumeist in tiefste Armut. Andere sind bei ihren Verwandten in Deutschland untergekommen, immer in der Hoffnung, dass es absehbar doch noch Jobs gibt. Dies „Illegalität“ führt zu Steigerung der Lohndrückerei, Ausstieg aus dem Schulbesuch der Kinder und katastrophalen Wohnbedingungen.

Der deutsche Staat ist dann wieder ermutigt sich zum weltweiten Verteidiger der Menschenrechte zu machen, denn der Unterschied zu Saudi Arabien ist erheblich. Dort werden die nicht mehr benötigten migrantischen Arbeitskräfte nach Hause geflogen. Hier lässt der Staat sie nur Verhungern. Eine wahrhaft zivilisatorische Errungenschaft, die jeden deutschen Außenminister ermächtigt, andernorts Menschenrechte einzufordern.

Das Hartz IV Regime hat sich gewandelt. Es ist nicht mehr die unterste Stufe der Existenzsicherung. Es gibt noch etwas darunter. Die „nicht mehr Hartz-IV-Berechtigten“. Die Kombination aus dem Sanktionsregime der Jobcenter und dem Aufenthaltsrecht macht es möglich. Der Zugang der super billigen Arbeitskraft, weit unter Existenzniveau und Mindestlöhnen für die deutschen und europäischen Unternehmen ist sichergestellt.