Diskussion: „In die Kämpfe setzen“

Zu beobachten ist eine rasante Zuspitzung gesellschaftlicher Verhältnisse, was tut sich derweil im Aktivismus? Ein Austausch zwischen der Wiener Initiative Sommerpaket, dem Wiener Bündnis Zwangsräumungen verhindern und dem Bremer Erwerbslosenverband im Wiener Magazin Malmoe.


Moderation: Wer seid ihr und aus welcher Positionierung heraus seid ihr aktiv?

Initiative Sommerpaket (Ini SP): Ich bin Sozialarbeiterin und Betriebsrätin und arbeite in einer Organisation der Wohnungslosenhilfe. Die Ini selbst ist ein Zusammenschluss aus Linken, die im Sozialbereich arbeiten. Wir setzten uns sowohl für Verbesserungen von Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind ein als auch für die Bedingungen jener, die an der Basis arbeiten. Bei unserer offenen Gruppe sind nicht nur Leute aus der Wohnungslosenhilfe aktiv. Die Initiative gründete sich 2019, seitdem immer wieder unter neuen Zusammensetzungen. Dynamiken veränderen sich und so auch unsere Kampffelder. Aus der Mobilisierung gegen Gewalt an Wohnungslose – aufflammend durch zwei Morde und einem versuchten Mord an wohnungslosen Personen im Sommer 2023 – formierte sich die aktuelle Gruppe. Im Zusammentun haben wir mitbekommen, dass wir in unterschiedlichen Betrieben sehr ähnliche Auseinandersetzungen und Kämpfe führen. Allein der Austausch darüber hat uns sehr gestärkt. Der Frust und das Nichtakzeptieren von dem, was wir täglich sehen, ist für uns ein großer Motivationspunkt. Sichtbarmachung von Missständen, die wir vor allem durch unseren Lohnerbeitskontext mitkriegen, ist ein zentrales Anliegen. Wir versuchen einen nicht sehr realitätsverbunden und unangebrachten Diskurs über Wohnungslosigkeit zu verschieben.  An der Basis vernetzen wir uns stärker und machen mehr solidarische Erfahrungen. Dadurch generieren wir Mut um füreinander zu sprechen und direkt für Betroffene von Wohnungslosigkeit einzustehen. Es geht um ein Abwenden von Verschlechterungen, aber auch viel um ein Nachdenken darüber, was besser laufen könnte.

Bremer ErwerbslosenVerband (BEV): Ich komme aus Bremen vom Bremer Erwerbslosenverband. Bremen ist das kleinste Bundesland Deutschlands und liegt im Nordwesten. Die Stadt hat mit ca. 30% die höchste Erwerbslosen- und die höchste Armutsquote Deutschlands. Unser Name ist eigentlich eine Lüge: Wie alle guten linken Gruppen sind wir das Produkt einer Spaltung. Es gibt uns seit 2008. Wir beraten gegen Arbeit, Miete und Jobcenter. Die Leute die in unsere Beratung kommen, fragen nach Hilfe gegen die Polizei, bei der Auseinandersetzung mit Vermieter*innen, Chef*innen, dem Jobcenter und ihrem Aufenthaltsstatus. Strategisch stehen wir in allem was wir machen „auf zwei Beinen“: Zum einen die Beratung. Zum anderen SoliA – Solidarisch in Aktion. Das ist einer der Orte kollektiver und solidarischer Selbstorganisierung, die wir versuchen zu schaffen. SoliA wird da aktiv „wo das Recht aufhört“. Grundsätzlich ist unser Ziel, den Übergang von individueller Beratung zu kollektiver Organisierung und Protest zu organisieren. 

Zwangsräumungen Verhindern (ZRV): Aktuell sind wir eher mit Entmietung, und nicht so viel mit akuten Zwangsräumungen beschäftigt.  Einige Leute wollten den Mythos vom „Roten Wien“ brechen, auch in Wien gibt es beim Wohnen massive Probleme anders als es die Stadt Wien probiert darzustellen. Mit Slogans und Texte haben wir angefangen, dazu Gerichtsprozesse begleitet und beobachtet, Fahrraddemos organisiert um in verschiedenen Bezirken Öffentlichkeit zu schaffen und haben so herumprobiert. Immer verbunden mit der Hoffnung, dass sich Leute bei uns melden mit denen wir gemeinsam Kämpfe für unsere eigenen Wohnsituationen führen, das war von Anfang an unser Thema. Seit eigentlich zwei Jahren sind wir ausgehend von einem Haus recht aktiv. Dort leben Geflüchtete denen einfach der Strom und die Heizung abgestellt wurden. Wir haben verschiedene Sachen probiert, uns mit den Leuten zusammengesetzt, mit den Nachbar*innen die uns darüber informiert haben und die da eh schon im Kontakt waren. Wir haben Leute mobilisiert und sind direkt zu einer verantwortlichen Firma und Hausverwaltung gegangen um da ein bisschen Stress zu machen. Das hat auch so ein positives Gefühl bei Leuten erzeugt, es gab auch Zeitungsartikel drüber. Wir sind eine kleine Gruppe, wir können das dann bei einer, zwei Firmen machen, aber wir können es nicht für ganz Wien leisten. Aktuell sind wir so in einer Phase in der wir darüber nachdenken, was Strategie sind und wo man weiter experimentieren sollte. Das Beispiel vom Haus ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Wohnungsmarkt ist extrem angespannt, Mieten sind hoch, der Zugang zu Gemeindebau ist an viele Bedingungen geknüpft. Das alles macht Leute sehr vulnerabel, entweder sie akzeptieren Bedingungen, wo sie gar nicht erst einen Mietvertrag bekommen, einfach weil alle auf Wohnraum angewiesen sind oder haben keine Bleibe. Und das ist auch etwas mit dem wir uns als Gruppe noch mehr beschäftigen müssen. Diese Lebensrealität ist so vielen – auch in der linken Szene – gar nicht bewusst.

Moderation: Kritisch formuliert, könnte eins sagen, ihr arbeitet eigentlich an Missständen, der klassisch ein funktionaler Wohlfahrtstart aufgreifen sollte: professionelle Beratungen übernehmen, Wohnraum zu Verfügung stellen, Vulnerabilitäten entgegenarbeiten etc. Wie geht ihr mit der Dynamik um und wie seid ihr in den Widersprüchen aktiv? 

ZRV: Für uns als Gruppe trifft das eigentlich nicht zu. In der Lohnarbeit bin ich auch Sozialarbeiterin. Methoden wie wir als ZRV Druck auszuüben, das geht eben gerade aus der Lohnarbeit heraus nicht. Durch direkte Besuche bei Firmen haben wir Logiken von langedauernden Rechtsprozesse durchbrochen, die es gebraucht hätte, um rechtlich die Fälle zu entscheiden. Bei uns sind die Anliegen die Leute immer wieder Thema, die natürlich viele Fragen haben und Unterstützung brauchen, da kommen wir als Initiative an unsere Grenzen und das sorgt auch für interne Diskussionen.

Ini SP: Bei uns setzt es halt tatsächlich voll viel im Lohnerwerbskontext an. In der Initiative sind wir aber vor allem nicht Sozialarbeiter*innen, sondern Aktivist*innen. Über die Lohnarbeit generieren wir urviel Wissen, das wir verwenden, um Aktionen zu planen. Öffentlichkeitswirksam ist bei uns sehr viel los bei Diskussionen rund um die Notquartiersöffnung über den Sommer, von der auch der Name „Sommerpaket“ kommt. Es gibt ein stark verankertes Vorurteil in Wien, dass es für alle eine Schlafplatzversorgung über den Winter hinweg gibt, was es de facto nie gegeben hat. Dazu gibt es jetzt zusätzlich Verschärfungen, über die öffentlich gar nicht gesprochen wird. Organisationen des Fonds Soziales Wien reagieren auf unsere Veröffentlichungen mit Repression oder Repressionsandrohungen, es wird in die Personalabteilung zitiert usw. Als Initiative bilden wir eine Austauschplattform: Menschen können sich an uns wenden und wir können es auf unseren Blog veröffentlichen, ohne dass Leute sofort in eine Repressionsmaschinerie kommen. Ich glaube, Diskutieren mit Entscheidungsträgern und Beratung mit direkt Betroffenen muss mit unterschiedlichen Ansprüchen gemacht werden. Agieren aus der Lohnarbeit im Sozialbereich bietet im institutionellen Kontext große Möglichkeiten zur Sabotage. Wir haben unglaublich viele unnötige Regeln in der Wohnungslosenhilfe, die gebrochen gehören und das am besten kollektiv im ganzen Team. Der Blick auf das Problem durch Reflexion ändert den Umgang damit. Das sind Dinge, die tatsächlich auch Erfahrungen verändern, und Trägerorganisationen stressen. 

BEV: Unsere Beratung machen wir als Lohnarbeitende, wir leben von Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Dabei dürften unsere Einkommen aber wesentlich geringer sein als die von Sozialarbeiter*innen. Unsere prekären Einkommen funktionieren auch nur so, weil wir alle in WGs, Hausprojekten u.ä. leben. Es gibt einen objektiv bestimmbaren Zweck des Sozialstaates in den westlichen Demokratien: Das Überleben von Leuten so zu sichern, dass sie auch weiterhin bestmöglich verwertbar dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Im Herstellen davon, ist er repressiv und schädlich. Das führt zu Interessenkonflikt mit denen, die auf ihn angewiesen sind. In Harmonie Grundsicherungsleistungen beziehen – das gibt es nicht. Die Leute, die zu uns kommen, erhoffen sich aber genau das. Im Konfrontieren damit verlangen wir ihnen auch etwas ab. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass es für die Leute nützlich ist zu verstehen, warum die Lage gerade so ist in der sie sind. Zu verstehen, dass es nicht an einem selber liegt, nicht nur an der an der Laune der Sachbearbeiter*in oder des Chefs, sondern an einem grundsätzlichen Interessenkonflikt mit Staat, Nation und Kapital. Das hilft nicht nur sich strategisch klug zu verhalten. Es kann auch emotional stärkend wirken. Wir beherrschen die Rechtsebene, schreiben Klagen, Widersprüche, etc. und versuchen gleichzeitig immer Rechtskritik zu üben: gegen Vereinzelung die das Recht auch immer mit sich bringt, anzuorganisieren. Das zeigt, so widersprüchlich der Sozialstaat ist, ist auch unser Versuch, Beratung, kollektive Organisierung und Widerstand dagegen zu organisieren. Und, ganz ehrlich, ganz oft kommen wir über Feuerwehr und Soziale Arbeit leider auch nicht hinaus.

Moderation:  Kollektive Politisierung, wie gelingt das?

ZRV: Ich glaube kollektive Politisierung ist eine Herausforderung, vor der steht eigentlich fast jede linksradikale Selbstorganisierung, die sich mit wie man Leute in einem Raum zusammenkriegt auseinandersetzt. Probleme der Dezentralisierung haben wir auch oft, da sind jetzt verschiedene Häuser, aber wie kann man zum Beispiel auch einen Prozess begleiten, der Leuten das Gefühl geben kann, „okay, wow, wir sind so viele, die das betrifft.“ Oft wissen sie das eh voneinander, Communities sind ja auch gut vernetzt. Aber dass man dort Kämpfe miteinander verbindet und da dann auch solidarische Gruppen reinholt und sich mit den Themen weiter auseinandersetzen. Das ist so eine Richtung in die man weiterdenken muss. 

BEV: Wie kann man kämpfen und gewinnen? Die Möglichkeiten mit rechtliche Auseinandersetzungen Verbesserungen zu erstreiten, sind sehr begrenzt. Es ist ja gerade das Recht mit dem Staat uns alle auf das Eigentum als einziges Mittel zur Durchsetzung unserer Interessen verpflichtet. Und trotzdem macht es Sinn, das Recht so weit es geht auszureizen, den Laden wenigstens versuchen zu zwingen sich an seine eigenen Regeln zu halten. Das auch und gerade mit dem Rechtsruck im Nacken, den wir in Deutschland erleben. Es kommt nur bei alledem immer darauf an, nicht an das Recht zu glauben und auch keine Rechtsgläubigkeit dabei zu verbreiten. Wo es geht, diese Auseinandersetzungen mit medialer Öffentlichkeitsarbeit und direkten Aktionen zu verbinden, kann meiner Erfahrung nach dabei helfen. Im Zweifelsfall mit 20 Personen ins Jobcenter zu gehen, wenn seit Monaten kein Geld kommt obwohl alle Unterlagen da sind, das kann nicht nur die Wirkung einer zeitgleich eingereichten „einstweiligen Anordnung“ bei Gericht verstärken. Dann kommt die Polizei um uns zu räumen, aber wir haben nicht nur Wut und Transparente mitgebracht, sondern auch das Fernsehteam. Natürlich ist das kein wirklicher materieller Machtaufbau, wir haben keine Möglichkeit wirklichen Schaden, zum Beispiel durch ökonomischen Druck wie einer Firma beim Streik, anzurichten. Das Spiel mit dem Spektakel kann aber meiner Erfahrung nach beides sein: Sowohl mediale show aber auch die Vorwegnahme der Rechnung, dass das was „ihr“ an Schaden bei uns anrichtet, wir „euch“ auch zurückbringen können. Damit lassen sich nicht nur kleinere, sondern manchmal größere Gewinnen durchaus einfahren.

ZRV: Ich sehe so ein Dilemma, das uns seit Anfang an begleitet. Wir sind halt so eine Gruppe, die sich aus so einer linksradikalen Szene zusammengesetzt hat. Die irgendwie zu Häusern geht, da gibt es dann manchmal diese Momente, wo man dann für einen Tag das Gefühl hat, man ist da und macht was gemeinsam. Das ist aber keine langfristige Sache, wir können nicht jedes Mal zu 20. zu einer Firma gehen. Aber ja, das sind halt diese Momente, die mal da sind und auch mal überhaupt nicht da sind – ein Dilemma.

Ini Sp: Es geht nicht nur um die Form der Organisation, sondern auch um den Nutzen, was passiert dann da drin und was ist der Zweck. Ich glaube, was für mich so ein großes Learning mit der Initiative war, ist ein bisschen wegzukommen von diesem aktivistischen Anspruch: „Es muss möglichst groß sein, es muss möglichst laut sein, es muss irgendwo einschlagen!“ Mittlerweile gehe ich auf unsere Kundgebung und die hoffentlich fünf bis sechs Gespräche, die ich dort führe, sind für mich die brauchbaren Momente in dieser Aktionsform. Ich würde da tatsächlich voll draufsetzen. Für mich hat sich noch nichts so wirksam gezeigt, wie dass Menschen sich selbst wirksam erleben im Hervorbringen von kollektiven Erfahrungen. Das habe ich bei der AG Fem*Streik miterlebt und jetzt bei der Initiative ich glaube, das hat bei mir was geändert.

Das ganze Gespräch als Video: